Zwei Abhandlungen
vom
Staatsraths Dr. Zachariä,
Proffessor der Rechte in Göttingen.
(Neuer Abdruck)
Leipzig,
Hahn'sche Verlagsbuchhandlung.
1862.
Die sogenannte Braunschweigische Successionsfrage
und die
neuentdeckten Ansprüche Preußens
auf das
Herzogthum Braunschweig.
(Aus der Augsburg. Allgem. Zeitung, außerordentl. Beilage zu Nr. 293
v. 20. Octbr. 1861 und Beilage zu Nr. 294 v. 21. Octbr. 1861.)
Wir haben in Deutschland mancherlei von unserem westlichen Nachbarn gelernt, leider aber mehr Schlimmes als Gutes. Zum Schlimmen gehört jezt auch die Kunst Fragen zu machen, wo die Wirklichkeit oder die bestehenden Verhältnisse an sich keine bieten. Da wird erst ganz bescheiden und unschuldig die Möglichkeit angedeutet, daß eine Frage in Zukunft entstehen könne, wenn dieser oder jener Fall eintrete, und ein Fühler in der Presse ausgestreckt nach der Aufnahme, welche die Sache im großen Publicum wohl finden möchte. Glaubt man hiernach auf Anklang rechnen zu können, so geht man einen Schritt weiter; die Frage wird als eine vorhandene, als eine „nothwendig zu lösende“, als eine „brennende“ hingestellt, und mit wachsendem Eifer und berechnetem Eclat in Zeitungen und Broschüren à la Laguéronnière verhandelt. Ein neuestes Beispiel einer solchen im politischen Treibhaus künstlich erzeugten und großgezogenen Frage ist die sogenannte braunschweigische, welche an das eventuelle Erlöschen der dasigen Dynastie geknüpft worden ist. Bis auf die jüngste Zeit ist es Niemandem auch nur im Traume eingefallen, das dann eintretende Successionsrecht der Krone Hannover in Zweifel zu stellen. Jedes Schulkind weiß, daß die braunschweigische und die hannoverſche Linie die beiden Zweige des alten Welfenstammes sind, daß auch die braunschweigischen Lande zu den alten Erblanden des welfischen Hauses in Norddeutschland gehören, und daß bei allen früher vorgekommenen Abzweigungen und Theilungen unter den Nachkommen Heinrichs des Löwen nach altem Familienrecht, welches bei der Verwandlung des allodialen Besizes des Hauses in ein Reichslehen lediglich bestätigt wurde, der Vorzug des Mannsstammes dergestalt gegolten hat, daß im Fall des Aussterbens der einen Linie, mit Ausschluß aller Cognaten, der Mannsstamm der andern, oder, waren es mehrere gleich nahe Linien, diese fast ausnahmslos zusammen zur Succession gelangt sind, ohne daß sich im welfischen Haus in einem fast 700jährigen Zeitraum auch nur ein einziges Beispiel einer weiblichen oder cognatischen Erbfolge nachweisen ließe. Wie hätte also auch den rechts- und geschichtskundigen Leuten nur der leiseste Zweifel darüber kommen können, daß für den wahrscheinlich gewordenen Fall des Erlöschens der jeßigen braunschweig - wolfenbüttel'schen Linie ein anderes Princip zu adoptiren sei?
Nur die Folgen, die sich im Fall des Todes des jezt regierenden Herzogs von Braunschweig an die im Jahre 1830 erfolgte Ausschließung des noch lebenden Herzogs Karl von Braunschweig knüpfen ließen, das Verhältniß etwaiger legitimer Descendenz beider Brüder zu einander, oder, in Ermanglung derselben, die Möglichkeit eines Wiedereintritts des Herzogs Karl in die Regierung des Landes, sind mit Rücksicht auf die verschieden beurtheilte rechtliche Natur der Entsetzung des auch vom deutschen Bund für regierungsunfähig erkannten Herzogs Karl und die dabei im Schooße der Bundesversammlung abgegebenen Erklärungen besprochen worden, und es leidet namentlich keinen Zweifel, daß die im Interesse des Herzogs Karl 1858 (Leipzig, Verlag von Otto Wigand) erschienene, mit Sachkenntniß abgefaßte Schrift: „Der Aufstand in der Stadt Braunschweig am 6. und 7. September 1830 und der bevorstehende Anfall des Herzogthums Braunschweig an Hannover", welche übrigens den eventuellen Anfall Braunschweigs an Hannover nach Erlöschung des braunschweig-wolfenbüttel'schen Mannsstammes auch noch als etwas ganz unzweifelhaftes betrachtet, wenn nicht einer Restitution des Herzogs Karl zum Zweck der Selbstregierung, doch einer Regentschaft für denselben beim Tod des Herzogs Wilhelm vorzuarbeiten gesucht hat, um das die politische Selbstständigkeit der Herzogthums bedrohende Ereigniß, den Wünschen der Braunschweiger entsprechend, noch einige Zeit hinauszuschieben.
Auf irgendwie wirksame und allgemeinere Sympathien konnte der anonyme Verfasser, wie er sich selbst ſagen mußte, offenbar nicht zählen. Anders mochte sich die Sache gestalten, wenn es gelang, eine politische Partei für die Verhinderung des Anfalls des Herzogthums an die Krone Hannover zu intereſſiren, und ihr zugleich eine Handhabe dafür zu bieten, daß ein anderer deutscher Staat, der die Sympathien der Partei für sich hatte, und dessen Arrondirung in Norddeutschland in Verbindung mit der erstrebten Hegemonie in den deutschen Angelegenheiten als etwas höchst willkommenes erschien, in die Lage gebracht werden könne, sich das Herzogthum Braunschweig-Wolfenbüttel, unter Ausschluß der „auf vergilbten Pergamenten“ beruhenden Rechtsansprüche Hannovers, zu,,anectiren". Daß sich dabei der ungünstige Stand der öffentlichen Meinung in Betreff der Regierung Hannovers benutzen, die Verbindung des Herzogthums mit dem Königreich als ein das Land bedrohendes Mißgeschick, der Anschluß an den Staat Friedrichs des Großen aber als eine segensreiche Zukunft hinstellen ließ, lag klar auf der Hand, und den Braunschweigern einzureden, daß die Bewahrung ihrer bisherigen Selbstständigkeit ihrem eigenen Vortheil gar nicht entspreche, konnte, wie man meinte, auch nicht schwer fallen, wenn man ihnen die Vortheile einer Vereinigung mit Preußen recht lebhaft vor Augen führte. Wie sich das, die Erbansprüche Hannovers in ganz unbestreitbarer Weise anerkennende, positive Recht zu solcher Eventualität verhalte, war natürlich für die Auffassung der Frage von solchem Standpunkt aus ganz unerheblich. Jedenfalls ließ sich durch die neue, jeden Rechtsbruch heilende, gallisch - italische Universalmedicin der allgemeinen Volksabstimmung eine schwebende Brücke über die Schlucht bauen, welche das politische Gelüste vom positiven Rechtsboden scheidet. Und so wurde in der That, so unglaublich dies vorher dem deutschen Rechtsbewußtsein erscheinen mußte, zu Anfang des Jahres 1861 die braun-schweigische Successionsfrage nicht von Braunschweig aus, welches im Gegentheil erst darüber belehrt werden mußte, daß es zu einer „Frage" beſtimmt ſei, in Scene geſetzt.
Zu Berlin bei Springer erschien mit dem schließlichen Mahnruf: „Möge Braunschweig über sein Schicksal wachen“, datirt B. im Januar 1861, die Broschüre: „Die Regierungsfolge im Herzogthum Braunschweig nach dem Erlöschen des braunschweig - wolfenbüttel'schen Fürstenhauses". Die Tendenz wird von dem anonymen, nur mit S. bezeichneten, Verfasser gar nicht verhehlt. „Es thut noth," heißt es in der Einleitung, „daß die Bewohner des Herzogthums sich lebhaft vor die Seele führen, welche Bedrängniß sie zu erleben hätten, wenn ihr Land dem Königreich Hannover, besonders bei den jeßigen Regierungsverhältnissen in diesem Staate, einverleibt werden würde, und welcher Vortheile sie andererseits bis zu der, vielleicht nie zu erreichenden, Einheit Deutschlands verlustig gehen müßten, wenn sie nach der Endschaft der Regierung unter dem jetzigen Fürstenhaus nicht mit der an die östliche und westliche Seite des Landes angrenzenden Großmacht Preußen verbunden werden könnten. Es thut noth, daß dieses Bewußtsein bald geweckt und allgemein gemacht werde; denn es würde bei dem Eintritt des befürchteten Ereignisses zu spät sein, da das Herzogthum von Hannover aus in einem Tage militärisch besetzt werden kann, und die vollendete Thatsache in der Regel eine unwiderstehliche Kraft in Angelegenheiten des Völker- und Staatsrechts ausübt..."
Daß Hannovers Erbansprüche nach gemeinem bisher geltendem Reichsrecht unbegründet seien, daß Preußen einen prioritätischen Anspruch habe, wird nicht einmal zu behaupten, geschweige zu beweisen versucht. Dagegen werden die Grundprincipien des monarchischen Staatsrechts so zu sagen auf den Kopf gestellt, und, unter Verleugnung der anerkannten Fundamente der europäischen Staatsordnung, die subversifsten Doctrinen dazu gebraucht, dem braunschweigischen Volk in dem Medium einer allgemeinen und gemeindeweise vorzunehmenden Abstimmung die souveraine Entscheidung über sein zukünftiges Geschick in die Hand zu legen. Der, 1806 mit der Auflösung des Reichs souverain gewordene, Staat Braunschweig, will der Verfasser der Welt glauben machen, ist durch die Napoleonische Eroberung und die Incorporation in das Königreich Westphalen zu Grunde gegangen, und damit haben auch die Rechte der bisherigen Dynastie und der stammverwandten Vettern zu existiren aufgehört. Im Jahre 1813 haben die Alliirten das braunschweigische Land wieder erobert, und es novo jure an Friedrich Wilhelm, den bei Quatre-bras gefallenen Helden, verliehen. ,,Sein nunmehriger Besitztitel, die Verleihung durch die Großmächte, war ein völkerrechtlicher, nicht mehr der staatsrechtliche, und das von seinem Vater auf ihn übergegangene Successionsrecht nur ein „Beweggrund“ zur Verleihung für die Großmächte. Friedrich Wilhelm war mithin ganz neuer Erwerber im Sinn des alten Lehn- und Staatsrechts, und da nach diesem keiner ein Erbrecht hat, der nicht vom ersten Erwerber abstammt, so wird mit dem Tode der descendenzlos versterbenden Söhne Friedrich Wilhelms das Herzogthum Braunschweig ein staatsrechtlich herrenloses Gut, auf welches Niemand ein Erbrecht geltend machen kann. Dem braunschweigischen Volk allein bleibt es überlassen zu beschließen, welchem Fürsten dann die Regierung in Braunschweig übertragen werden soll, um das Haupt einer neuen Dynastie zu sein.“ Dabei müssen einige aus dem Zusammenhang geriffene, in sinnentstellender Weise benutzte Citate, selbst Aeußerungen des Grafen Münster auf dem Wiener Congreß, und an sich vielleicht wahre, aber in ganz corrupter Weise angewendete Sätze des Staats- und Völkerrechts dazu dienen, um die Blößen der publicistischen Mißgeburt zu verhüllen, und einige doppelt (französisch und deutsch) abgeschriebene diplomatische Noten, die für die Beurtheilung der Frage so unerheblich sind, wie etwa eine Stelle aus des Tacitus Annalen, beim ſachkundigen Publicum den Schein einer urkundlichen Beweisführung erwecken.
Gewiß hat der Verfasser selbst nicht erwartet, daß ihm eine ernstliche Widerlegung für seine ganz neuen, luftigen, blos für den einzelnen Fall zurechtgemachten staats- und völkerrechtlichen Doctrinen gebühre; nichts desto weniger ist ihm eine solche zu Theil geworden in der Schrift von E. Wedekind: „Hannover und Braunschweig; Beleuchtung und Widerlegung der Druckschrift: „Die Regierungsnachfolge &c.“ Leipzig bei Wigand." Der Verfasser, so viel wir wissen, ein guter Hannoveraner und von dem gegenwärtigen Regime ganz unabhängiger Mann, vormals Mitglied der deutschen Nationalversammlung und nichts weniger als ein verstockter Particularist, giebt sich die Mühe, das leichtfertige juriſtiſche Gewebe des anonymen Politikers zu zerpflücken, und zugleich die Gründe, weshalb sich Braunschweig durch einen Anschluß an Preußen in ganz überwiegender Weise besser stehen würde, als bei einer Verbindung mit Hannover, zu widerlegen. Wir glauben behaupten zu dürfen, daß die große Mehrheit der Hannoveraner, ohne Unterschied der politischen Parteien (die recht gut einsehen, daß die Annectirung des Herzogthums an den Großstaat Preußen mit der wahren deutschen Frage gar nichts zu schaffen hat) dem Verfasser in den Hauptpunkten seiner „Widerlegung“ beigestimmt hat, und ferner beistimmt. Denn so viele auch geneigt sein möchten, einem einigen Deutschland mit einer die Kraft des Ganzen, aber auch die Selbstständigkeit der Gliederstaaten, soweit sie damit vereinbar ist, verbürgenden Verfassung jedes nothwendige Opfer zu bringen für blos preußische Annexionen und Incorporationen bestehen in Hannover, wenigstens bis jetzt, durchaus keine Sympathien, und Niemand hat Lust, auf das eigene gute Recht von Hannover zu verzichten, um die mit einem Aufgehen des stammverwandten Landes im preußischen Staate verbundenen großen Nachtheile mit in den Kauf zu nehmen, ohne irgend ein anderes Resultat, als Preußen die gewiß wünschenswerthe und mit Begierde ersehnte Vergrößerung seines Gebietes zuzuwenden, durch welche freilich für dieses zugleich der große Vortheil einer Verbindung der westlichen und östlichen Hälfte der Monarchie erreicht werden würde.
Indessen hat die Befürchtung, daß für die Braunschweiger selbst denen naiver Weise zugemuthet wird, sich unter Nichtachtung des bestbegründeten Rechts von Hannover auf die eventuelle Nachfolge von diesem loszureißen, weil die Selbstständigkeit ihrer Verfassung dabei eine Einbuße erleiden müßte, dafür aber unter gänzlichem Verzicht auf ihre staatliche Individualität in dem benachbarten Großstaat völlig aufzugehen die vorgehaltene Lockspeise zur Zeit doch vielleicht noch nicht verführerisch genug erscheinen könne, selbst von Organen der preußischen Presse nicht unterdrückt werden können. So brachte z. B. die „Volks-Zeitung“ vom 27. Juni d. J., anknüpfend an den von der Vossischen Zeitung den Braunschweigern gegebenen Rath, daß sie, „eingedenk des ihnen drohenden Schicksals beim Ableben des regierenden Herzogs an Hannover zu fallen, von selber die Initiative ergreifen möchten, um durch einen Anschluß an Preußen dem gefürchteten Loos zu entgehen,“ eine interessante Expectoration über gewisse Dinge, die den Braunschweigern, weil sie dieselben in Preußen mit in den Kauf bekämen, die Lust verderben könnten, sich diesem in die Arme zu werfen, und eine Antwort derselben auf die Frage, weshalb sie unter gleichen Vorausseßungen sich bei einem Anschluß an Hannover denn doch besser stehen würden. „Denn, wenn sie zu Hannover kämen, würden sie alles daran setzen, um ihre Verfassung zu behalten, und ihre Selbstständigkeit in Justiz und Verwaltung in jeder Beziehung zu wahren. Dies würde vielleicht Kampf kosten, aber Hannover sei nicht groß genug, um sie ohne weiteres zu verschlingen und zu consumiren. Sogar bei völliger Einverleibung und verlorener Selbstſtändigkeit würden sie stark genug sein, um sich ihrer Haut zu wehren, und im Verein mit der liberalen Partei Macht genug haben, die gemeinsamen Feinde zu bekämpfen. Mit Preußen aber vereinigt, würden sie doch zu wenig ins Gewicht fallen, um seinen Mißständen wirksam entgegentreten zu können.“
Daß die obige, die Regierungsnachfolge Hannovers im Herzogthum Braunschweig mit einem dicken Strich durch das historisch begründete Recht in Zweifel stellende Broschüre irgendwie einen günstigen Eindruck in den Kreisen hervorgebracht habe, auf die sie einzuwirken bestimmt war, werden nicht einmal diejenigen zu behaupten wagen, welche in der Sache selbst ihr diesen Erfolg am meisten wünschen mochten. Und in weiteren Kreisen, nicht blos in den hannoverschen Landen, war der Eindruck offenbar ein ganz entgegengesetzter. Für das noch lebendige deutsche Rechtsgefühl war die beigebrachte Dosis ganz nagelneuer Staatsdoctrinen doch zu stark, und es erklärt sich daraus, daß man der Broschüre und ihrem offenbar von demselben Verfasser herrührenden, auch bei Springer in Berlin erschienenen Nachläufer: „Braunschweigs Anschluß an Preußen", officiöse Desaveus entgegensetzte, um die preußische Regierung von dem Verdacht zu befreien, als werde sie sich je auf die vom Verfasser aufgestellte Theorie von dem Erlöschen des hannoverschen Erbrechts stützen. Einen solchen Protest kann auch der Verfasser eines im Juliheft 1861 der preußischen Jahrbücher von R. Haym erschienenen Aufsatzes: „Die Successionsfrage im Herzogthum Braunschweig“, welcher an die bis dahin erschienenen Flugschriften anknüpft, nicht zurückhalten, obwohl aus jeder Zeile der Wunsch, die braunschweigische Erbschaft für Preußen anzutreten, und die Braunschweiger vor „dem offenbaren Unglück einer Annexion an Hannover" zu bewahren, hervorleuchtet. „Eine verzweifelte Situation leitet zu verzweifelten Rettungsmitteln,“ sagen die Haym'schen Jahrbücher (S. 22) „und ein solches ist die von dem Verfasser aufgestellte Theorie." - - ,,Man merkt es dieser Deduction leicht an, daß sie ihren Ursprung in dem Bedürfniß hat, eine rechtliche Formel für einen Protest gegen den Anschluß an das verhaßte Hannover zu finden. Der Verfasser ist mit dieser Erfindung nicht glücklich gewesen. Den Napoleonischen Raub wird man in Deutschland nie als Grundlage eines Rechtsverhältniſſes ansehen. Auch außerdem hat die Theorie der Löcher viele" u. s. w. Auch den preußischen Jahrbüchern erscheint das (zum Ueberfluß im § 14 des braunschweigischen Staatsgrundgesetzes ausdrücklich anerkannte) Erbrecht Hannovers „kaum anfechtbar". Sie hoffen aber, daß sich ein demselben vorgehendes Erbrecht Preußens, wofür schon vor Jahren eine Schrift verheißen worden sei, werde nachweisen lassen. Vielleicht gelinge es noch Erbverträge" aus dem Staube der Archive hervorzuziehen, welche Brandenburg vor Hannover den Vorzug einräumten. Auch hier hat offenbar die Begierde den klaren Blick getrübt; auch nur an die Möglichkeit eines solchen Erbvertrags zu denken, durch den der welfische Mannsstamm auf sein Successionsrecht zu Gunsten Brandenburgs verzichtet haben könnte, ist doch in der That eine zu starke Illusion!
Nun ist aber doch vor Kurzem ein bisher ganz unbekannter Name, von dessen Träger man sonst gar nichts weiß, mit einer,,Denkschrift über die prioritätischen Ansprüche Preußens an das Herzogthum Braunschweig-Wolfenbüttel" in die Deffentlichkeit getreten. Der Verfaſſer nennt sich „Otto Bohlmann, Dr. der Philosophie und beider Rechte." Die Schrift ist dem Titel zufolge nach den Quellen bearbeitet“ und mit einem Anhang versehen, „enthaltend vier Stammtafeln und die wichtigsten in Bezug genommenen Urkunden in correctem Abdruck." Diese Versicherung, und der recht zur Schau gestellte gelehrte Apparat sollten wohl von vornherein die Meinung erwecken: es handle sich hier nicht um eine politische Broschüre, sondern um eine tiefgründliche historische Forschung, um eine unparteiische Abwägung des von zwei verschiedenen Prätendenten in Anspruch genommenen Erbrechts. Darüber wird Andern das Urtheil gebühren. Als Nebenumstand darf aber nicht unbemerkt bleiben, daß die Schrift schon vor ihrem Erscheinen in einer auf Eclat berechneten Weise in Berliner Zeitungen wiederholt angekündigt, und auf die schlagende Beweisführung derselben hingewieſen worden ist. Auch daß sie sich als „Denkschrift“ bezeichnet, ein bisher nur bei Rechtsausführungen im Auftrag eines der unmittelbar Betheiligten üblicher Titel, und daß sie der Verfasser „dem königlichen Regierungspräsidenten Frhrn. v. Schleiniß zu Bromberg", wenn wir nicht irren, dem Bruder des bisherigen Ministers der auswärtigen Angelegenheiten in Preußen, dedicirt hat, konnte gewisse naheliegende Vermuthungen erwecken. Doch wollen wir dieselben für jezt nicht verfolgen. Eine ſpätere Zeit wird wohl zu Tage fördern, welche Geister die Fäden zu dem angeblich wissenschaftlichen Gewebe aufgespannt haben. Auch wird sich bald zeigen, ob die an der Spree mit Jubel begrüßte Schrift etwas stichhaltigeres zu Tage gefördert hat, und ob das Urtheil der Vossischen Zeitung vom 31. August, welche sie als eine von der Wissenschaft (?) „in der dunkeln Brutzelle Gutenbergs" vorbereitete Festgabe zum 1000jährigen Jubiläum der Stadt Braunschweig feiert, ja sie sogar als „eine auf ein umfassendes und gründliches historisches Quellenstudium basirte, mit großem juridischen Scharfsinn klar und sauber ausgearbeitete staatsrechtliche Deduction" bezeichnet, auf den Beifall unparteiischer Kenner des Rechts und der Geschichte Anspruch machen kann. Daß eine Prüfung durch solche nicht lange auf sich warten lassen wird, glauben wir mit Bestimmtheit annehmen zu dürfen. Noch ist der Sinn für Wahrheit und Recht in Deutschland nicht so erloschen, daß es an Männern der Wissenschaft fehlen sollte, die, unbeirrt durch politische Sympathien und Antipathien, für das wirkliche, bisher unbestrittene und unbestreitbare Recht in die Schranken zu treten, für ihre Pflicht erachten, und dies um so mehr, als sich der Verfasser der Denkschrift in, vielleicht auf den Effect an bestimmter Stelle, berechneter Weise mit dem Mantel tugendhafter Entrüstung über die verwerflichen Theorien seiner Vorläufer auf diesem Gebiet umkleidet, und selbst bekennt,,,daß eine rechtlose Annexion dem deutschen Nationalgeist durchaus widerstrebe, daß eine Verlegung des öffentlichen Gewissens in Deutschland das bedenklichste sei, was immer preußische Staatsmänner unternehmen könnten.“ „Deshalb,“ versichert der Verfasser in der Vorrede weiter,,,erschien es geboten, vor Allem nach dem historischen Recht Preußens auf eine Erwerbung Braunschweigs zu fragen, und diejenigen Fundamente an's Licht zu ziehen, welche in diesem Sinn die Erhebung von preußischen Successionsansprüchen als rechtlich begründet erscheinen lassen.“ Daß danach eifrig gesucht worden ist, um dem politischen Gelüfte den Schein einer rechtlichen Forderung zu geben, ist, ohne weitere Versicherung, zu glauben. Aber das, was man gefunden hat, und als Fundament für Rechtsansprüche Preußens verwenden will, ist, wie wir jezt schon entschieden aussprechen müssen (die Beweisführung für solche, die ihrer überhaupt noch bedürfen, an anderer Stelle vorbehaltlich), eitel Sand und unnützes Gerölle. Die „prioritätischen“ Ansprüche Preußens auf Braunschweig, die neben dem klaren Buchstaben des braunschweigischen Grundgesezes von 1832 § 14 gar nicht bestehen können, von denen bis Dato kein Historiker und kein Publicist eine Ahnung gehabt, und wofür kein System des deutschen Staats- und Privatfürstenrechts, sein Compendium der deutschen Staats- und Rechtsgeschichte die leiseste Andeutung enthält, — sollen nach Hrn. Bohlmann auf zwei Fundamenten des historischen Rechts beruhen:
1) auf dem nach Auflösung des Reichs angeblich erwachten alten cognatischen Erbrecht im Welfischen Hauſe, und
2) auf der vom Kaiser Maximilian II. im Jahre 1574 dem Kurfürsten Johann Georg von Brandenburg und dessen Erben auf sämmtliche braunschweig-lüneburgische Lande ertheilten Expectanz, welche an die Stelle der von demselben Kaiser dem Kurfürsten Joachim für den Fall des Aussterbens der Grubenhagen'schen Linie auf deren Lande (widerrechtlich) ertheilten Expectanz von 1564 getreten war. Allein beide sogenannte Fundamente sind in sich faul und nichtig, alles daraus abgeleitete ist eitel Spreu und Dunst, und die ganze, wie die Vossische Zeitung meint, „klar und sauber ausgearbeitete staatsrechtliche Deduction" kann, wenn man auch „den großen juridischen Scharfsinn" des Verfassers anerkennen müßte, nur als eine völlig mißlungene bezeichnet werden, welche nur dadurch, daß sie die anerkanntesten Grundsäße des deutschen Staatsrechts, namentlich auch in Betreff der rechtlichen Folgen der Auflösung des deutschen Reichs, leugnet oder in Zweifel stellt, dem Unkundigen gegenüber einigen Schein der Haltbarkeit gewinnen konnte. Das zum Ausgangspunkt genommene cognatische Erbrecht im Welfischen Haus ist ein völlig unerwiesenes Postulat. Die von den vollständig abgefundenen Töchtern des Pfalzgrafen Heinrich auf Braunschweig erhobenen und an den Hohenstaufen Friedrich II. verhandelten Ansprüche auf Braunschweig, welches ihr Vater schon in der Urkunde von 1223 seinem Neffen Otto puer als seinem „heres et legitimus successor" zugesprochen hatte, waren bloße Prätensionen, die niemals, auch nicht in der kaiserlichen Belehnungsurkunde von 1235, als wirkliches Recht anerkannt worden sind.
Der Versuch, die braunschweigischen Lande im Gegensatz zu dem übrigen welfischen Besitzthum durch eine in die Urkunde von 1235 hineingetragene Unterscheidung zwischen feudum datum und feudum oblatum von vornherein in ein besonderes Verhältniß zu setzen, steht mit dem Inhalte der Urkunde, die nur die erhobenen Ansprüche referirt, aber Braunschweig und Lüneburg als ein vereinigtes und ungetheiltes Ganze verleiht, im offenbarsten Widerspruch, und der Ausgang des lüneburgischen Erbfolgekrieges (1388) und alle späteren beim Aussterben abgetheilter Linien häufig vorgekommenen Succesionsfälle zeigen unwiderleglich den unbedingten, auch von Land und Leuten anerkannten und vertheidigten Vorzug des Mannsstammes vor allen Cognaten als feststehendes Familienrecht des welfischen Hauses. Und dieses in so vielen Jahrhunderten aufrecht erhaltene Familienrecht ist auch durch die Auflösung des deutschen Reichs und die damit verbundene Erlöschung des Reichslehnsverhältnisses in keiner Weise alterirt worden. Denn es ist ein allgemein anerkannter, durch keine Polemik wegzuräumender Rechtsgrundsatz: daß bei einer mit dem Erlöschen der Lehnsherrlichkeit verbundenen Appropriation des Lehens die bestehenden Familien- und Successionsrechte auf vasallitischer Seite gar nicht geändert werden, und Alles, was bisher von manchen Publicisten (unseres Erachtens auch ohne Grund) in Betreff vormaliger Reichslehen behauptet worden ist, beschränkt sich darauf, daß man den Cognaten auch bei reinen Reichsmannlehen ein eventuelles Successionsrecht hat beilegen wollen. Womöglich noch unerfindlicher als das in Anspruch genommene cognatische Successionsrecht wobei wir ganz dahin gestellt sein lassen, daß König Georg V. von Hannover in der That auch ein näherer Cognat von Herzog Wilhelm ist, als König Wilhelm I. von Preußen - ist das sogenannte zweite Fundament: die Kaiserliche Exspectanz von 1574 auf die gesammten braunschweig - lüneburgischen Lande in Verbindung mit der früheren Anwartschaft auf Grubenhagen von 1564. Letztere erlosch aber (abgesehen von ihrer Ungültigkeit wegen der darin enthaltenen Verlegung der Rechte des Welfischen Hauſes) mit der von 1574, welche ihrem ganz klaren Inhalt zufolge mit Einwilligung des Exspectivirten an die Stelle der Exspectanz von 1564 gesezt wurde.
Ferner giebt die Urkunde von 1574, unter deutlicher Hervorhebung des Gegensatzes, in dem sie zu der früheren Anwartschaft steht, nur für den Fall des Erlöschens des gesammten braunschweig - lüneburgischen Mannsstammes dem Kurfürsten von Brandenburg einen Anspruch, eine Belehnung zu verlangen, und was Hr. Bohlmann dabei von welfischen Machinationen fabelt, ist eben so unbegründet und bedeutungslos, wie die ganz nutzlose Ausführung über die in ihrer Bedeutung jedenfalls verdrehten besonderen Verhältnisse der 1596 erloschenen grubenhagen'schen Linie. Nicht das brandenburgische Recht von 1564 ist durch die welfischen Schritte von 1570 heimlich elidirt, sondern nur das durch jene Exspectanz verletzte Recht der Welfen zur unumstößlichen Anerkennung gebracht worden. Endlich aber weiß jeder Anfänger der Publicistik, daß die kaiserlichen Exspectanzen auf Reichslehen mit der Auflösung des Reichs erloschen sind, weil jede Exspectanz nur ein Forderungsrecht gegen den Lehnsherrn auf Belehnung begründet, was selbſtverständlich nicht mehr geltend gemacht werden kann, wenn das Subject der Verpflichtung und das Object des Versprechens (das Reichslehen) gar nicht mehr existirt; und die Wendung, welche der Verfasser nimmt, um diesem Einwande zu begegnen, das Recht des Erspectivirten hafte ad modum einer Landesschuld auf dem Object der Erspectanz, ist eine ganz nagelneue Theorie, um deren Erfindung Niemand den Verfaſſer beneiden wird, eben so wenig wie um vieles Andere, was er in seine Deduction pro coloranda causa einzuflechten beliebt, wie die Fabel von ,,alten Erbeinigungen“, die aber, wie der Verfasser selbſt zugiebt, gar keine erbrechtlichen Bestimmungen enthalten, und der poetische Erguß „über die neuere Waffengemeinschaft beider Länder“ (S. 64 f.) oder, deutlicher ausgedrückt, „die Fahnengemeinschaft derselben, und der Heldentod einer Reihe braunschweigischer Fürsten, den diese auf dem Felde der Ehre für Preußen freudig erlitten haben."
Mit einem Worte, die ganze Deduction ist ein Gewebe unhistorischer, unjuristischer, mit sich selbst im Widerspruch stehender und theilweise die anerkanntesten Rechtsgrundsätze negirender Behauptungen, die eigentlich gar keine Widerlegung verdienen, und gegen welche nur deshalb hier ein vorläufig ganz kurzer öffentlicher Protest eingelegt werden muß, weil ihre schlecht verhüllte Tendenz, das politische Gelüste mit dem Firniß des Rechts zu überziehen, das juristische Gewissen an maßgebenden Stellen einzuschläfern, und mit zur Schau getragener Entrüstung über die modernen Annexionen die Leute glauben zu machen, es existirten wirklich prioritätische Ansprüche Preußens auf das Herzogthum Braunschweig - Wolfenbüttel, dem ganzen Machwerk eine Bedeutung verleiht, die es an sich freilich gar nicht in Anspruch nehmen kann. Wenn man so, wie der Verfasser gethan, mit poetischer Licenz Rechte postulirt, wo keine sind, dann sie nach Belieben erlöschen und wieder aufleben läßt, wo es an den rechtlichen Voraussetzungen für das Eine wie das Andere fehlt, wenn man, wo es paßt, dem fraglichen Object eine rechtliche Qualität vindicirt, und wo es nicht paßt, dieselbe wieder negirt, und bald nachher wieder Ansprüche zu formuliren sucht, für welche weder das Object, noch das verpflichtete Subject mehr existiren, dann ist es in der That leicht, auch das Unmögliche auf dem Wege sogenannter juristischer Deduction möglich zu machen.
Schließlich gedenken wir nur der Vollständigkeit der literarischen Uebersicht halber einer, auch in diesem Jahre in Braunschweig bei Fr. Wagner erschienenen, kleinen Broschüre: „Andeutungen über die braunschweigische Successionsfrage. Von einem braunschweigischen Juristen." Sie behandelt im Wesentlichen nur die Schritte, welche für den Fall des Erlöschens der regierenden Linie zu thun sein möchten, um die verfassungsmäßigen Rechte des Landes sicher zu stellen, und Niemand wird es den Braunschweigern verargen, wenn sie im Voraus darauf Bedacht nehmen. Das eventuelle Successionsrecht des Hauses Hannover wird darin an sich gar nicht bestritten, der Zweifel aber, der aus der Abstammung der jetzigen hannoverschen Dynastie aus der nicht ebenbürtigen Ehe des Herzogs Georg Wilhelm von Celle und der Eleonore d'Olbreuse gegen ihre Successionsfähigkeit abgeleitet wird*), fällt selbst nach dem Urtheil der preußischen Jahrbücher a. a. D. so wenig ins Gewicht, daß er auf irgend eine Beachtung wohl schwerlich Anspruch machen kann.
*) Anmerk. der N. H. Ztg. Der Verfasser der Broschüre hat in seinem Raisonnement nicht bedacht, daß nicht etwa nur die jetzige Dynastie Hannover, sondern auch der jetzige Herzog von Braunschweig (der Großvater des jezigen Herzogs von Braunschweig hatte die rechte Schwester Georg's III. zur Gemahlin) und selbst der jezige König von Preußen (die Gemahlin Friedrich Wilhelm I. von Preußen war die rechte Schwester Georg's II.) Nachkommen der d'Olbreuse sind.
Zur Kritik
der Bohlmann'schen Denkschrift
über
die prioritätischen Ansprüche Preußens
an das
Herzogthum Braunschweig - Wolfenbüttel.
Aus den Götting. gel. Anzeigen 1861. Stück 52.
Denkschrift über die prioritätischen Ansprüche Preußens an das Herzogthum Braunschweig-Wolfenbüttel. Nach den Quellen bearbeitet von Otto Bohlmann, Doctor der Philosophie und beider Rechte. Nebst einem Anhange, enthaltend 4 Stammtafeln und die wichtigsten in Bezug genommenen Urkunden in correctem Abdruck.
Berlin 1861. Druck und Verlag Druck und Verlag von E. Mittler u. Sohn. XI und 112 S. in Detav.
Es ist nicht die wissenschaftliche Bedeutung der vorliegenden, in politischen Blättern mehrfach besprochenen und belobten Broschüre, welche uns bewegen kann, in diesen gel. Anzeigen davon Notiz zu nehmen. Denn, wenn auch dem Verf. ein gewisses Geschick in der Behandlung des von ihm verarbeiteten Materials nicht abgesprochen werden und die Form der Darstellung ein günstiges Vorurtheil für die Schrift zu erwecken geeignet sein möchte, so hat doch augenscheinlich der Verf. nicht im Dienste der Wahrheit, welche zu ergründen und zu festigen die Wissenschaft allein berufen ist, gearbeitet, sondern für einen politischen Zweck seine Feder in Bewegung gesezt und dabei, wie jeder Kenner der einschlagenden historischen Verhältnisse auf den ersten Blick durchschauen muß, die Geschichte auf eine unerhörte Weise mißhandelt und durch verschiedene sophistische Kunststücke für seinen Zweck zurecht zu machen gesucht.
Es wird den Lesern dieser Blätter zur Genüge bekannt sein, daß mit Anfang des Jahres 1861 eine s. g. braunschweigische Successionsfrage auftauchte und dann in mehreren politischen Broschüren und in Zeitungen behandelt worden ist.*)
*) Schon im Jahre 1858 erschien (Leipzig bei Otto Wigand) die Schrift: ,,Der Aufstand in der Stadt Braunschweig vom 6. u. 7. Septbr. 1830 und der bevorstehende Anfall des Herzogthums Braunschweig an Hannover." Sie behandelt im Wesentlichen nur die Folgen der Entsetzung des Herzogs Karl für den Fall des Todes des regierenden Herzogs von Braunschweig. Die Schriften und Abhandlungen über die erst in jüngster Zeit gemachte Frage, die wir hier im Auge haben, sind: 1) „Die Regierungsfolge im Herzogthum Braunschweig nach dem Erlöschen des braunschweig-wolfenbüttelschen Fürstenhauses". Berlin bei Springer. 2) ,,Braunschweigs Anschluß an Preußen.“ Berlin in dems. Verlag und wahrscheinlich von demselben Verfasser. 3) „Die Successionsfrage im Herzogthum Braunschweig“ in den preuß. Jahrb. von Haym. 1861. Juliheft. 4),,Andeutungen über die braunschweigiſche Succeſſionsfrage. Von einem braunschw. Juriſten.“, Braunschw. bei Fr. Wagner. -- Gegen Nr. 1 erschien von E. Wedekind: ,,Hannover und Braunschweig. Beleuchtung und Widerlegung der Druckschrift: „Die Regierungsnachfolge 2c. Leipzig bei O. Wigand." Eine jüngst erschienene kleine Broschüre, geschrieben zu Westerbrak im Herzogth. Braunschweig im Auguſt 1861, „von einem Mitgliede der vormaligen wolfenbüttelschen Ritterschaft“ (Leipzig, Commissionsverlag von L. Schrag) will die jetzige Frage als eine Nachwirkung der noch "ungesühnt gebliebenen" braunschweigischen Revolution von 1830 betrachten, wie schon der Titel derselben: „Einige Worte über die braunschw. Revolution v. 1830 und verschiedene Nachwirkungen derselben“ andeutet. Einen die verschiedenen Schriften zusammenfaſſenden, gegen die politiſchen Fragenmacher polemisirenden, Artikel brachte die Augsb. Allgem. Zeitung in den Beilagen zu Nr. 293 und 294 vom 20. und 21. Octbr. 1861.
Dabei war gar nicht das, in keiner Weise bestrittene, historische Recht zum Ausgangspunkt genommen; sondern die politische Forderung einer Vergrößerung des preußischen Staats, die Nothwendigkeit, die östlichen und westlichen Theile durch eine Annexion dazwischenliegenden Gebiets mit einander zu verbinden und die s. g. Volksstimme im Herzogthum Braunschweig, welche einen Anschluß an Preußen eben so dringend wünsche, als sie einer Verbindung mit Hannover entgegen sei. Wenigstens beruhte der dabei benutzte Rechtsgrund, daß durch die Napoleonische Eroberung im Jahre 1806 die bisherigen erbrechtlichen Ansprüche Hannovers erloschen und von dem in Folge der Siege der Alliirten restaurirten legitimen Herrscher, dem heldenmüthigen Herzog Friedrich Wilhelm, eine ganz neue Dynastie begründet worden sei, auf einer so augenscheinlichen und dem herrschenden Rechtsbewußtsein ins Gesicht schlagenden Verdrehung des rechtlichen Standpunktes, daß es kaum möglich war, sich der Meinung hinzugeben, es sei mit der neuen völkerrechtlichen Theorie ernstlich gemeint. Auch hat es nicht an Solchen gefehlt, die, obwohl dem Anschluß Braunschweigs an Preußen günstig gestimmt und ihn als eine erste kleine Station auf dem Wege Preußens zur Erlangung der Hegemonie über die mittleren und kleineren Staaten Deutschlands betrachtend, doch gegen solche Art von Rechtsverdrehung protestirt haben, wie es namentlich auch vom Verf. des Artikels in den preußischen Jahrbüchern geschehen ist.
Auch Herr Bohlmann, dessen Schrift wir hier allein ins Auge fassen, weil sie wenigstens ihrer Form nach zu einer wissenschaftlichen Besprechung geeignet zu sein scheint, erklärt sich gegen die bisherigen Ausführungen in der braunſchweigischen Frage. (Vorrede S. V f.) Gegen die Behauptung des, "braunschweigischen Juristen", daß die hannoversche Linie durch ihre Abstammung von der Eleonore d'Olbreuse, der Gemahlin Georg Wilhelms von Celle, Braunschweig gegenüber, der Ebenbürtigkeit entbehre, welche grundgesetzliche Bedingung der Successionsfähigkeit sei, wird mit Recht geltend gemacht, daß damit für Preußen wenig gewonnen werde, da ja auch das preußische Königshaus die "Madame de Haarbourg" als Ahnmutter zu respectiren habe. (Man muß hinzufügen: Auch die braunschweigische Linie hat d'Olbreuſiſches Blut in ihren Adern und es wäre deshalb lächerlich, dem hannoverschen Königshaus, abgesehen von der vollständigen Anerkennung jener Ehe Seitens aller Agnaten, die Successionsfähigkeit in das Erbe der ersteren bestreiten zu wollen.) Eben so wenig mag Herr Bohlmann die Behauptung adoptiren, daß durch die Napoleonische Eroberung das Recht der welfischen Dynastie erloschen sei. Ihre Wiederanerkennung sei doch einmal ,"Vertragspflicht" Preußens "England gegenüber" (weiter nichts?!) gewesen. Die (angebliche) Unzuträglichkeit einer Vereinigung Braunschweigs mit Hannover, gegenüber der braunschweigischen Sonderverfassung, und die eventuelle Nothwendigkeit einer bloßen Personalunion, könne, da das Recht nach Nützlichkeitsrücksichten nicht frage, die historischen Gründe nicht beseitigen, auf welche sich Hannover mit seinen Ansprüchen vielleicht stützen könnte (sic!). Wenn man aber gar Preußen vorschlage, "eine gemeindeweise Abstimmung der braunschweigischen Bevölkerung als Basis einer Einverleibung anzunehmen," so vergesse man, "daß eine rechtlose Annexion dem deutschen Nationalgeiste durchaus widerstrebe und daß eine Verlegung des öffentlichen Gewissens in Deutschland das Bedenklichste sei, was immer preußische Staatsmänner unternehmen könnten." ,"Unter diesen Umständen," sagt Herr Bohlmann in der Vorrede S. VII, "erschien es geboten, vor Allem nach dem historischen Rechte Preußens auf Erwerbung Braunschweigs zu fragen und diejenigen Fundamente ans Licht zu ziehen, welche in dieſem Sinne die Erhebung von preußischen Successions - Ansprüchen als rechtlich begründet erscheinen lassen. Eben so ist es nothwendig, die Fundamente der hannoverschen Ansprüche an Braunschweig festzustellen und dieſe gegen jene in wiss0enschaftlicher Weise sorgfältig abzuwägen."
Man sieht, daß es Herrn Bohlmann recht ernstlich um einen Rechtstitel für eventuell geltend zu machende Ansprüche Preußens auf das Herzogthum Braunschweig zu thun gewesen ist. Er ist zu diesem Zwecke auf eine Entdeckungsreise ausgegangen und, und wie er dankbar anerkennt, bei der Erforschung der "Quellen" von namhaften Gelehrten unterstützt worden. Namentlich verdankt er (Vorrede S. VII; vgl. auch 3. B. die Anmerk. zum vierten Cap. S. 82) Herrn Prof. Droysen und Herrn Geh. Archivrath Prof. Dr. Riedel "einzelne werthvolle Materialien," welche dieselben "ihm aus ihrem Privatbesitz zur Disposition gestellt haben." Nur Schade, daß die Rechtsgründe, welche Herr Bohlmann aufzufinden bemüht war, wenn man sie auf die Wagschale der Themis legt, um keinen Gran schwerer wiegen, als die seiner Vorgänger und daß sie, bei einer gewissenhaften unparteiischen Prüfung, als völlig nichtig und bodenlos erscheinen müssen; ganz abgesehen davon, daß auch Herr Bohlmann, um die starken Blößen seiner Beweisführung einigermaßen zu verdecken, pro coloranda causa, Dinge eingemischt hat, die auch nicht einmal den Schein von Rechtsgründen haben, und daß er schließlich (S. 76 f.) doch nicht zu verbergen vermag, daß die von ihm mit den wunderlichsten Sprüngen und unter den augenscheinlichsten Widersprüchen zusammengefaßten Dinge keine andere Bestimmung haben, als der für ihn und Andere feststehenden politischen Idee von dem Berufe des Preußenthums "zum räumlichen Gebietsfortschritt in Deutschland" eine Form zu geben. Nach seiner Meinung hat die, in zwiefacher Hinsicht auf die andern deutschen Gebiete wirksame Gewalt des Preußenthums auch über die welfischen Lande bereits inen Faden geschlungen und er schmeichelt sich damit, "ein in nachhaltiger Entwickelung zur Reife strebendes Fundament für die preußische Erwerbung des Herzogthums Braunschweig gewonnen zu haben". Es wird sich aber leicht zeigen lassen, daß der Faden, welchen nicht die Geschichte, sondern das politische Gelüste gesponnen hat, an Haltbarkeit kaum dem Spinnengewebe vergleichbar ist.
Herr Bohlmann hat seine ganze Ausführung in elf Capitel vertheilt und ihr zugleich durch die beigefügten "Stammbäume" und "Documentsabschriften" einen Anstrich diplomatischer Sorgfalt und Gründlichkeit zu geben versucht. Sein Bestreben ist natürlich ein doppeltes: 1) für Preußen gewisse Erbrechtstitel auf Braunschweig zu gewinnen, und 2) die Ansprüche Hannovers als vor diesen zurücktretend hinzustellen. Davon handeln die neun ersten Capitel; nur eine Zugabe bilden Cap. X und XI, von welchen das erstere die Bedeutung der braunschweigischen Landesvertretung und in welcher Weise sie preußischen Ansprüchen förderlich sein könne? bespricht, das andere aber die Ungültigkeit der sächsischen Expectanz von 1625 und die Unwirksamkeit der alten Erbverträge Braunschweig-Lüneburgs mit Sachsen aus dem 14. Jahrh. behandelt. Die Ausführung der angeblichen Erbrechtstitel Preußens und ihres Vorrangs vor den hannoverschen Ansprüchen greift natürlich mehrentheils in einander. Allenfalls läßt sich das 6. Cap. als ein, besonders dem zweiten Punkt gewidmetes betrachten, indem es sich mit einer s. g. Kritik der Erbverträge des welfischen Gesammthauses beschäftigt. Was aber die angeblichen Erbrechtstitel für Preußen betrifft, so kann man Alles, was Hr. Bohlmann vorbringt, auf zwei Hauptpunkte reduciren: 1) das angeblich den Vorzug Preußens begründende cognatische Erbrecht im welfischen Hause, und 2) die kaiserliche Expectanz auf das Fürstenthum Grubenhagen von 1564, wofür jezt das Herzogthum Braunschweig als angenehmes Surrogat betrachtet werden soll -unter Vorbehalt der Ansprüche auf ganz Hannover kraft der kaiserlichen Expectanz von 1574.
Auf den ersten Rechtstitel - das angeblich cognatische Erbrecht Preußens - beziehen sich: Cap. I. "Genealogische Entwickelung des welfischen Hauſes und Darstellung der Allodialerbfolge der Töchter desselben vor 1235"; Cap. VII. "Die Stellung der welfischen Prinzessinnen in vierfacher Rücksicht: vor 1235; beim Beginn des Lehnsnexus; ihre Ausschließung während der Fortdauer des letzteren; Gestaltung ihrer Anrechte nach 1806"; Cap. IX. "Cognation Preußens mit Braunschweig-Wolfenbüttel. Ermittelung der preußischen und hannoverschen Verwandtschaftsgrade; Concurrenz von Agnation und Cognation".
Den angeblichen zweiten Rechtstitel behandeln: Cap. II. "Das Verhältniß der Unterlinie Braunschweig-Grubenhagen zu den übrigen Linien der Welfen; die grubenhagenſchen Besizungen; Umriß der Modificationen derselben. Erlöschen dieses Stamms 1596. Verbleib des Landes"; Cap. III. "Die brandenburgischen Ansprüche an Braunschweig - Grubenhagen, ihre Geschichte; die Expectanz von 1564"; Cap. IV. "Die Machinationen der Welfen gegen die brandenburgische Expectanz; der Lehnbrief von 1570. Gegenmaßregeln Brandenburgs. Die Expectanz von 1574; ihr Verhältniß zu der von 1564. Brandenburgs Protest beim Aussterben des grubenhagenschen Geschlechts. Heranziehung der Rechte aus der Expectanz von 1564 auf den jezt bevorstehenden Successionsfall"" Cap. V. "Die Competenz des Kaisers zur Verleihung der beiden Erpectanzen und deren spätere Corroborationen."
Auf beide angebliche Rechtstitel endlich läßt sich beziehen: Cap. VIII. "Nachwirkungen des alten Lehnsbandes und das Wiedererwachen der alten Allodialerbfolge nach aufgelöstem Reichsverbande. Sind die Expectanzen noch 1806 in Kraft geblieben? Wie modificirt sich jetzt die gesammte Hand der Welfen? Verhältniß der jetzigen braunschweigischen Verfassung zu den cognatischen Rechten. Die Verträge von 1815."
Die die Abhandlung begleitenden Beilagen (S. 78 f.) liefern: 1) die "Belagsstellen" zu den einzelnen Capiteln der Abhandlung; 2) Stammbäume zur Veranschaulichung der "Töchtererbfolge" im welfischen (?) Hauſe bis 1235, der verschiedenen Linien der braunschw. lüneb. Herzöge seit 1235, der Beziehungen Brandenburgs zu Grubenhagen und Heirathen preußischer Herrscher und Prinzen mit welfischen Töchtern und umgekehrt; 3) "Documentsabschriften" der kaiserl. Expectanzen für Brandenburg von 1564 und 1574, verschiedene Erbrecesse und Lehnbriefe des braunschw.-lüneb. Hauſes, theilweise nur im Extract, sämmtlich ohne Angabe, woher sie der Verf. entnommen hat.
Also "das historische Recht, die Verdienste um Kaiser und Reich, verbunden mit der gemeinsamen Abstammung und der gemeinsame Beruf zu Schutz und Trutz" sollen "das in nachhaltiger Entwickelung zur Reife strebende Fundament für die preußische Erwerbung des Herzogthums Braunschweig" bilden. Das soll doch wohl heißen, daß neben dem historischen Recht noch andere Titel (moralische oder politische?) beständen. Was sollen diese aber in einer Abhandlung, welche eben das historische Recht Preußens nachzuweisen bestimmt ist? Und wie können "Verdienste um Kaiser und Reich, gemein2ame Abstammung und gemeinsamer Beruf zu Schutz und Trutz“ ein besonderes Recht für Preußen und eine Priorität vor Hannover irgendwie stützen, da diese Titel in ganz gleicher und, was die gemeinsame Abstammung betrifft, sogar in verdoppelter und nach dem historischen Recht prädominirender Weise demjenigen zur Seite stehen, welchem das Erbe zu Gunsten Preußens streitig gemacht werden soll!? Auf den wahren Werth reducirt, ist Alles, was sich darauf bezieht, bloße Phrase, die keiner Widerlegung bedarf. Mit dem s. g. historischen Recht, welches Herr Bohlmann zu reproduciren gesucht hat, verhält es sich aber nach seiner Darstellung folgendermaßen.
Weil das brandenburgische Haus in frühern (nicht über das 14. Jahrhundert zurückreichenden) Fällen und später öfter zu dem welfischen Hause durch Verheirathung mit Gliedern dieses erlauchten Geschlechts in blutsverwandtschaftliche Beziehungen getreten ist, insbesondere August Wilhelm, der Bruder Friedrichs d. Gr. und Urgroßvater des jetzigen Königs von Preußen, mit der braunschweigischen Prinzessin Louise Amalie (Tochter Ferdinand Albrechts II. von Braunschweig - Bevern) verheirathet war, und deshalb zwischen dem jezigen König von Preußen und dem Herzog Wilhelm von Braunschweig eine cognatische Verwandtschaft im achten Grade besteht, so kam es Herrn Bohlmann zunächst darauf an, zu deduciren, daß überhaupt ein cognatisches Erbrecht im braunschweig - lüneburgischen Hause bestehe und daß dasselbe nach der Nähe des Grades mit dem agnatischen Erbrecht des hannoverschen Fürstenhauses concurrire.
Zu diesem Zweck werden sehr alte Geschichten aufgefrischt und für den Zweck des Verf. zurechtgelegt, gedeutet und ausgebeutet. Es wird daran erinnert, daß das welfische Erbe in Norddeutschland durch die Erbtöchter der Billungen, Brunonen, Nordheimer und Supplingenburger in welfischen Besitz gekommen sei, was notorisch ist, aber schon um deswillen als irrelevant erscheint, weil jene Erbtöchter erst nach Erlöschung des Mannesstamms ihres Geschlechts das väterliche Erbgut ihren Gatten zubrachten. Es werden ferner die Prätensionen, welche die Töchter des Pfalzgrafen Heinrich, des ältesten Sohnes Heinrichs des Löwen, auf Braunschweig gegen ihren Vetter Otto das Kind, den damals einzigen männlichen Sprossen des welfischen Geschlechts, erhoben und an Kaiser Friedrich II. verkauften, der sie erst mit Gewalt geltend zu machen suchte, aber im Wege des Vergleichs 1235 darauf verzichtete, als hinreichender Beweis dafür betrachtet, daß in Ermangelung von Söhnen oder Sohnessöhnen, Cognaten und Agnaten gleiches Erbrecht gehabt und nach der Nähe des Grades succedirt hätten; ja es werden in das pactum investiturae von 1235, durch welches die welfischen Allodialbesitzungen in ein Reichsfahnlehen verwandelt wurden, Erklärungen hineingetragen, um daran die Schlußfolgerung zu knüpfen, daß Otto das Kind selbst das bestehende cognatische Erbrecht anerkannt habe. Herr Bohlmann findet nämlich, daß zwischen Lüneburg und Braunschweig - castrum Luneborch - und civitas de Brunsvic cum pertinentiis - der rechtliche Unterschied bestehe, daß jenes als feudum oblatum, dieses als ein vom Kaiser gegebenes Lehen (feudum datum) bezeichnet werde; und da sich Otto das Kind diese Bezeichnung habe gefallen lassen, so habe er damit anerkannt, daß Braunschweig ein, von den vor ihm successionsberechtigten Töchtern des Pfalzgrafen Heinrich auf den Kaiser Friedrich II. übergegangenes, Eigenthum gewesen sei.
Für die, auf die Errichtung des Herzogthums Braunschweig - Lüneburg folgende Zeit (nach 1235 bis zur Auflösung des Reichs) kann aber Herr Bohlmann das Erbrecht der Töchter oder Cognaten nicht gebrauchen; dies würde ja dem andern, für Preußen geltend gemachten, Rechtstitel der kaiserlichen Expectanz auf die braunschweig - lüneburgischen Lande im Wege stehen. Denn weder die vom Kaiser Maximilian II. dem Kurfürsten Joachim, auch mit Verletzung der Rechte des Mannsstamms, ertheilte Expectanz auf Grubenhagen von 1564, noch die für den Fall des Erlöschens des ganzen Mannsstamms dem Kurfürsten Johann Georg von Brandenburg bewilligte Expectanz auf die gesammten braunschweig - lüneburgiſchen Lande von 1574 konnte mit Recht gegeben werden, wenn im braunschweig - lüneburgischen Hause ein eventuelles cognatisches Erbrecht begründet war. Und was Herr Bohlmann für seinen Zweck nicht gebrauchen kann, das ist für ihn nicht vorhanden. Das eventuelle, d. h. erst nach Erlöschung des Mannsstamms wirksam werdende, Erbrecht der Töchter des braunschweig - lüneburgischen Hauses, welches der erste Lehenbrief von 1235 ausdrücklich anerkennt, indem er das Herzogthum für ein ,,feudum in heredes filios et filias hereditarie devolvendum" erklärt, ist demnach, wie Herrn Bohlmann beliebt anzunehmen, in der Zeit des Reichs, wegen der Eigenschaft als Reichslehen, erloschen, gar nicht mehr vorhanden gewesen. Der Beweis dafür ist, weil die kaiserlichen Lehenbriefe seiner nicht gedenken! - Allein mit dem gänzlichen Erlöschen des cognatischen Erbrechts ist dem Verfechter prioritätischer Ansprüche Preußens auch nur zeitweise gedient. Preußen soll ja wegen näherer Blutsverwandtschaft mit Braunschweig vor Hannover den Vorzug haben und wie könnte dieser Titel bestehen, wenn die Cognaten für immer ihr Erbrecht eingebüßt hätten? Deshalb muß das cognatische Erbrecht mit der Aufhebung des deutschen Reichs und der damit eingetretenen Appropriation der Reichslehen wieder von den Todten auferstehen; es muß wieder aufleben so, wie es nach Herrn Bohlmann bis 1235 bestanden hat; denn nur so ist es zur Begründung prioritätischer Ansprüche Preußens verwendbar. Mit einem blos eventuellen cognatischen Erbrecht war eben für diesen Zweck nichts anzufangen. Daß dies in einem wunderbaren Contrast zu der, nach der Theorie des Verf. auch nach Auflösung des Reichs stillschweigend fortdauernden Lehensqualität der braunschweig-lüneburgischen Lande steht, die für den andern Rechtstitel, die Lehensexpectanzen von 1564 und 1574, nicht entbehrt werden kann, ist natürlich von gar keiner Erheblichkeit! -
Dieser andere Rechtstitel wird aber in folgender Weise vom Herrn Bohlmann zurechtgemacht und verwendet. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts benutzte Kurfürst Joachim die gegenwärtigen und zukünftigen Verdienste des Hohenzollernschen Hauses um Kaiser und Reich und den Wunsch des Kaisers sich den Kurfürsten für Förderung anderer Ziele (die polnische Krone) verbindlich zu machen, um für den, schon als wahrscheinlich zu betrachtenden, Fall des Erlöschens des Mannsstamms im grubenhagenschen Fürstenhause eine Expectanz auf das Fürstenthum Grubenhagen zu erhalten. Dies gelang denn auch im Jahre 1564. Allein nun wurden von den andern welfischen Fürsten, insbesondere dem einflußreichen Herzog Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel, die sich unbegreiflicher Weise ihre agnatischen Rechte auf Grubenhagen nicht verkürzen lassen wollten, die schändlichsten Intriguen angesponnen und auch von ihrer Seite ähnliche Hebel angesetzt, wie sie Kurfürst Joachim zur Erlangung der Expectanz von 1564 beim Kaiser gebraucht hatte. Si duo faciunt idem, non est idem! Die brandenburgische Speculation war auf den Umstand gegründet, daß die grubenhagenschen mit den andern braunschweig - lüneburgischen Fürsten bisher keine Gesammtbelehnung vom Reiche erhalten hatten, sondern von älteren Zeiten her nur für sich belehnt worden waren. Nun gelang es, durch die angesponnene welfische Intrigue, - ein Ausdruck, dessen sich Herr Bohlmann wiederholt bedient, - von demselben Kaiser Maximilian II., welcher 1564 die Expectanz ertheilt hatte, eine, auch die grubenhagenschen Fürsten einschließende, Gesammtbelehnung zu erhalten, durch welche das agnatische Successionsrecht für den Fall der Erlöschung der grubenhagenschen Speciallinie gesichert wurde. Das war, in den Augen des Herrn Bohlmann, ein himmelschreiendes Unrecht! Es war schändlich, die brandenburgiſche Expectanz auf Grubenhagen so hinter dem Rücken des Expectivirten zu beeinträchtigen, die Aussicht auf die angenehme Erbschaft zu Wasser zu machen! Was geschah nun? Die Röm. Kaiserl. Majestät befand sich, von dem Nachfolger Joachims II., dem Kurfürsten Johann Georg von Brandenburg, wegen des Erfolgs der "welfiſchen Intrigue" zur Rede gestellt, in einiger Verlegenheit. Sie hatte etwas versprochen, was sie ohne das Recht der braunschweig - lüneburgischen Agnaten zu verletzen, nicht halten konnte. Man fand aber doch ein Mittel, um sich aus der Klemme zu ziehen. Kurfürst Johann Georg ließ sich bewegen, eine Expectanz auf die gesammten braunschweig-lüneburgischen Lande vom Kaiser in Empfang zu nehmen und erhielt sie durch die Urkunde vom 10. Juni 1574 für den Fall "Wann alle Herzogen zu Braunschweig und Lüneburg und derselben Erben für und für, ohne manliche Leibs Lehens Erben abstürben." Damit war ja nun wohl die Geschichte mit der grubenhagenschen Expectanz abgethan? Kurfürst Johann Georg hatte sich dafür mit der Expectanz auf die gesammten braunschweig-lüneburgischen Lande abfinden lassen; einen, wenn auch in fernere Zukunft gerückten, größern Gewinn für den, in näherer Aussicht stehenden, kleinern eingetauscht? - O nein! so hat es, ſagt Herr Bohlmann, Brandenburg gar nicht gemeint. Brandenburg hat sich damals nur durch das größere kaiserliche Expectanzpflaster vorläufig beschwichtigen lassen. Es hat seine Rechte aus der Expectanz von 1564 niemals aufgegeben, auch 1596, als der lezte Herzog von Grubenhagen (Philipp II.) gestorben war und Herzog Heinrich Julius von Braunschweig die grubenhagensche Erbschaft in Besitz genommen hatte, jene Expectanz von 1564 noch geltend zu machen gesucht. Natürlich muß dies so und darf nicht anders sein. Denn Preußen soll ja prioritätische Ansprüche auf Braunschweig vor Hannover haben und dazu kann die Expectanz von 1574 nicht benutzt werden, welche nur für den Fall des Erlöschens des gesammten braunschweig - lüneburgischen Mannsstamms ertheilt wurde.
Aber, könnte man vielleicht einwenden, wenn auch Brandenburg auf die grubenhagensche Expectanz nicht verzichtet hat und sie gegenwärtig noch geltend machen könnte, das Fürstenthum Grubenhagen ist doch nicht das Herzogthum Braunschweig, auch nicht im Besitze der braunschweigischen Linie geblieben, sondern durch reichsoberhauptliches Erkenntniß in dem deshalb mit der celle'schen Linie verhandelten Successionsstreit letzterer zugesprochen und im April, 1617 ausgeantwortet worden. Grubenhagen ist im Beſiße von Hannover und wenn Preußen glaubt, darauf Ansprüche machen zu können, so mag es dieselben auf dem sich jezt darbietenden Rechtswege gegen Hannover geltend machen! - Allein auch dieser Einwand macht Herrn Bohlmann gar keine Sorge. Preußen soll blos mit dieser Expectanzgeschichte documentiren, daß es mehr als einen Rechtsanspruch habe und es wird gern bereit sein, Braunschweig für Grubenhagen hinzunehmen. "So drängt sich denn," sagt Hr Bohlmann wörtlich S. 25, "heute die Frage auf, ob nicht das jezt zum Aussterben sich neigende Herzogthum Braunschweig - Wolfenbüttel als Ausgleichung für das uns seit mehr als zwei Jahrhunderten entzogene Fürstenthum Grubenhagen seiner Zeit in Anspruch genommen werden könnte? - Das Herzogthum Braunschweig-Wolfenbüttel wird an Flächeninhalt die ehemaligen grubenhagenschen Besitzungen wenig (?) übertreffen; es besteht zum Theil auch heute noch aus Ländereien, die es für seinen angeblichen Erbantheil an Grubenhagen zum Austausch erhalten hat und den andern Theil des Herzogthums Wolfenbüttel kann Hannover schon darum missen, weil dieses die andere Halbscheid-Quote an Grubenhagen geerbt, d. h. durch den 1570 dem Hauſe Brandenburg gespielten Streich mit einigem Schein des Rechten erworben und bei dieser Gelegenheit das ganze grubenhagensche Land eingetauscht hat." - Auch die Streitfrage, ob die Auflösung des deutschen Reichs 1806 die kaiserlichen Expectanzen, wie hier die grubenhagensche, unwirksam gemacht habe? kümmert Herrn Bohlmann nicht. Denn sie reicht, meint er, an das Privilegium von 1564 gar nicht hinan. Der, in demselben vorgesehene, Fall sei ja schon im Jahre 1596, also mehr als zwei Jahrhunderte vor dem Aufhören des Reichsverbandes eingetreten; "Preußen würde also, wenn es jezt mit Ansprüchen aus der grubenhagenſchen Expectanz hervorträte, nur einen Rechtstitel exequiren, hinsichtlich dessen schon 1596 actio nata vorlag." Uebrigens sei es auch gar keine bloße Expectanz geblieben, sondern nach einer sehr bemerkenswerthen Nachricht in einem Mscpt von Zacharias Zwanzig, Incrementa Prusso - Brandenburgica, 1699 dadurch in eine Eventual-Belehnung verwandelt worden, daß in einem allgemeinen Lehenbriefe Kaiser Leopolds für das brandenburgische Haus von 1699 die favorable Clausel Platz gefunden habe, "das Haus Brandenburg werde mit allen bisher erlangten Rechten und Anwartschaften beliehen." Später erfahren wir auch noch, daß es überhaupt ein Irrthum ist, wenn Publicisten die kaiserlichen Expectanzen mit der Auflösung des Reichs für erloschen erachten, weil das allein dadurch verpflichtete Subject, der Kaiser, nicht mehr existire. "Die Gegenfätze," sagt Hr Bohlmann S. 53, "zwischen obligatorischer und dinglicher Befugniß, welche hier auf das Lehensverhältniß angewendet werden sollen, drücken die historische Substanz des Lehnsbandes nicht erschöpfend aus, der Kaiser gab die Expectanzen nicht als Individuum, sondern als Repräsentant des Reichs; ihr Inhalt ist vermögensrechtlicher Natur." Bei Expectanzen, die auf ein mit Landeshoheit besessenes Territorium gerichtet waren, hafte das Recht des Erpectivirten auf dem Lande selbst und gehe "analog einer Staatsschuld" (S. 54) auf den Nachfolger über. Andererseits werden die deutschen Fürsten auf die Thatsache hin, daß sich factisch mehrere die lehnsherrlichen Rechte von Kaiser und Reich über die ihrer Souverainität unterworfenen vormaligen Reichsvasallen beigelegt haben, zu Erben de jure in Betreff des kaiserlichen Lehensobereigenthums gemacht, obwohl nicht recht klar ist, was der Verf. eigentlich mit diesem an sich falschen Lehrſatz in Betreff der Fortdauer der kaiserlichen Expectanzen sagen will. Man kann nur vermuthen, daß der Verf. meint, daß Brandenburg oder Preußen als Erbe des Kaisers die Erfüllung des Expectanzversprechens gegen sich selbst beantragen und sich selbst dazu anhalten soll, noch nachträglich für den Fall des Erlöschens der braunschweigischen Linie, die Belehnung zu vollziehen. Uebrigens lernen wir auch bei dieser Gelegenheit nebenbei bemerkt und abgesehen von manchen andern Druckfehlern - im Text (S. 55) und in den Noten (S. 79 u. 85) einen Hannoverschen Vicekanzler B. G. Struve als Verf. der rechtlichen Bedenken kennen.
Das Bisherige mag genügen, um wenigstens einen Begriff davon zu geben, was Herr Bohlmann zur Begründung der behaupteten und von Niemandem geahnten prioritätischen Ansprüche Preußens auf Braunschweig vor dem bis jezt ganz unbestrittenen Successionsanspruche Hannovers beigebracht hat. Wer sich ein vollständiges Bild von den seinen Combinationen, den überraschend neuen Rechtstheorien und den mehr als kühnen Conclusionen machen will, der muß die Schrift selbst lesen. Eine ins Einzelne eingehende Widerlegung hier zu versuchen, ist unmöglich. Wir müßten ganze Bogen füllen und doch am Ende bekennen, der Mann ist unwiderleglich, freilich nicht deshalb, weil die Wahrheit sich nicht widerlegen läßt, sondern aus einem andern Grunde, für welchen ein bekanntes Sprichwort vom vergeblichen Kampfe der Götter einen Ausdruck darbietet. Das Ganze läuft nach unserem Urtheil auf eine Mißhandlung der Geschichte und auf eine unerhörte Rechtsverdrehung hinaus.
Eine einfache und ungekünſtelte Betrachtung der historischen Entwickelung des Erbrechts im welfischen Hause ergiebt
folgende Resultate:
1) Daß vor Errichtung des Herzogthums Braunschweig und Lüneburg ein cognatisches Erbrecht begründet war, ist unleugbar. Wir haben aber, auch in Betreff der vier Dynastien, deren Besitzungen in Norddeutschland oder Sachsen schließlich in der Hand des Welfen Heinrich des Löwen vereinigt wurden, nur Beispiele einer Töchtersuccession bei ganz erloschenem Mannsstamm. Die allodialen Beſizungen Heinrichs des Löwen wurden zwischen dessen Söhnen, dem Pfalzgrafen Heinrich, dem Kaiſer Otto IV. und Wilhelm von Lüneburg, getheilt (1203). Des Letztern Sohn, Otto das Kind,war, wie er in der Acte von 1223 bezeichnet wird, der heres und legitimus successor auch seiner beiden, theils kinderlos, theils ohne männliche Descendenz gebliebenen, beiden Oheime. Allerdings erhoben die Töchter des Pfalzgrafen Heinrich, auf welche die von der Mutter herrührenden pfälzischen Besitzungen übergegangen waren, Ansprüche auf Braunschweig und verkauften dieselben an den Hohenstaufen Kaiser Friedrich II., welcher jedoch, nach vergeblich versuchter gewaltsamer Durchführung, einen Friedensvergleich mit Otto dem Kinde 1235 abschloß, kraft dessen Braunschweig und Lüneburg zu einem reichslehenbaren Herzogthum erhoben wurde, mit der ausdrücklichen, das welfische Familienrecht anerkennenden Festsegung, daß es ein "feudum in haeredes, filios et filias, haereditarie devolvendum" sein solle. Daß Otto das Kind durch diesen Friedensschluß zwischen dem welfischen und dem hohenstaufischen Hause jene Prätensionen als Recht anerkannt habe, ist nicht wahr und die von Herrn Bohlmann versuchte Unterscheidung zwischen feudum datum (Braunschweig) und feudum oblatum (Lüneburg) steht mit der, Beides als ein Ganzes behandelnden und die erhobenen Ansprüche nur referirenden Urkunde, sowie damit, daß sich Herzog Otto im realen Besize auch von Braunschweig bei Errichtung des pactum investiturae von 1235 befand, im Widerspruch.
2) Die Grundlage des Successionsrechts im welfischen Hause blieb forthin das durch den Lehenbrief von 1235 bestätigte Haus- oder Familienrecht. Ein cognatisches oder Töchtererbrecht, mit Ausschluß der nächsten Agnaten oder Schwertmagen, hat, wie eine länger als sechshundertjährige Geschichte bezeugt, niemals aufkommen können. Braunschweig-Lüneburg war, dem schon längst gebrauchten Ausdruck gemäß, ein feudum foemininum subsidiarium. Andererseits ist das, in dem pactum investiturae von 1235 ausdrücklich anerkannte, eventuelle oder subsidiäre Erbrecht der Töchter niemals aufgehoben oder erloschen, weder durch eine ausdrückliche Aenderung jenes Pactums oder andere hausgesetzliche Bestimmung, noch durch irgend einen Successionsfall, der als Grundlage einer entgegenstehenden Observanz betrachtet werden könnte. Daß die späteren Lehenbriefe der Kaiser des eventuellen Succeſſionsrechts der Cognaten nicht gedenken, ist ganz irrelevant; der zu einer Aenderung des pactum investiturae nothwendige animus novandi, wird durch keine einzige Thatsache bekundet und auch die Erlangung der, auf einer besondern Belehnung beruhenden, Kurwürde Seitens der jüngern oder Wilhelm'schen Linie hat an dem Rechtsverhältniß des Gesammtlehens gar nichts geändert. Hat aber das cognatische Successionsrecht dem Rechte nach fortbestanden, so konnte und durfte es auch durch keinerlei an Dritte bewilligte Eventualbelehnung oder Expectanzbriefe des Kaisers verlegt oder beseitigt werden. Andererseits konnte das cognatische Succeſſionsrecht nicht, wie Herr Bohlmann glauben machen will, bei der mit dem Wegfallen der Reichslehensherrlichkeit im Jahre 1806. eingetretenen Appropriation des Lehens in der vor 1235 vorhandenen Gestalt wieder aufleben; sondern es bestand fort, innerhalb der Grenzen oder Schranken, welche es in der ganzen Zeit des Reichs forthin gehabt hatte; d. h. in seiner Wirksamkeit bedingt durch das völlige Erlöschen des Mannsstamms des welfischen Hauses; also ganz so, wie es auch die neuern Hausgesetze und die Landesgrundgesetze von Hannover (1833 und 1840) und von Braunschweig (1832) ausdrücklich anerkannt haben.
3) Daß durch die, im braunschweig-lüneburgischen Hause seit 1267 vollzogenen und häufig sich wiederholenden, Theilungen, bei welchen sich aber wiederholt das Recht der gesammten Familie in einer Linie (so nach 1355 und 1634) concentrirte, das agnatische Successionsrecht der Seitenverwandten gebrochen worden sei, ist eine völlig unrichtige, durch den Gang der Geschichte zur Genüge widerlegte Behauptung. Denn es ist
a. falsch, daß durch die Verwandlung der welfischen Allodien in ein Reichslehen die s. g. gesammte Hand im Sinne des älteren deutschen Rechts die Grundlage und Bedingung des Successionsrechts der Agnaten geworden sei. Wenn dies auch nach allgemeinem deutschen Lehenrecht (im Gegensatz zu dem, diese Bedingung nicht kennenden, longobardischen Lehenrecht) unleugbar der Fall war, weil das deutsche Lehenrecht ein Successionsrecht der Seitenverwandten im Lehen an sich gar nicht statuirt, so konnte doch dieser Rechtssatz auf Braunschweig-Lüneburg als ein feudum haereditarie, in haeredes devolvendum, wenn diese Hauptbestimmung des pactum investiturae einen Sinn haben sollte, keine Anwendung finden. Es konnte dies nichts anderes heißen, als daß in Betreff des Successionsrechts nicht das beschränkte Lehenrecht, sondern das Landrecht entscheiden solle, welches ausgemachter Weise die Succession der Seitenverwandten, der Schwertmagen, nicht von der fortdauernd bestandenen gesammten Hand abhängig macht. Es sind aber auch
b. die Theilungen im braunschweig-lüneburgischen Hause niemals solcher Art gewesen, daß die gesammte Hand zwischen den abgetheilten Linien dadurch gebrochen worden wäre, oder hätte gebrochen werden müssen; mit einem Worte, wie auch alle des braunschweig - lüneburgischen Staats- und Fürstenrechts Kundige längst und in übereinstimmender Weise anerkannt haben, es waren keine s. g. Tottheilungen im Sinne einer, die Scheidung des Rechts selbst und der Gesammt-Gewehre vollziehenden, Absonderung. Denn die locale oder geographische Abgrenzung der Rechtsausübung, der Regierung und der Landeseinkünfte, genügt an sich nicht zur Annahme einer Tottheilung: häufig haben die braunschweig-lüneburgischen Fürsten derselben und verschiedener Hauptlinien ihre Antheile wieder zusammengeworfen (das to hope setten von Land und Leuten, wie es in den Hausverträgen des 13. bis 16. Jahrhunderts so oft vorkommt). Außerdem sind sie aber auch bei allen Theilungen und besonders bis zu der Zeit, wo die Gesammtbelehnungen dem Reiche gegenüber vollständig geordnet waren und vom Senior des Hauses für Alle empfangen wurden, der Annahme, daß eine Rechtsabsonderung oder Scheidung zwischen den Theilenden vollzogen werden solle, durch Festsetzungen der unzweideutigsten Art stets entgegentreten. Dazu gehört vor Allem der ausdrückliche Vorbehalt und die nähere Bezeichnung der völlig ungetheilt bleibenden Stücke und zwar gerade solcher, mit welchen die ungetheilte Gemeinschaft des Hauptrechts ausgesprochen wurde. Nach dem pactum investiturae von 1235 war das Herzogthum gegründet auf die civitas de Brunsvic und das castrum de Luneborch. Alle übrigen Bestandtheile der lehenbar gewordenen welfiſchen Allodialmasse an Schlössern, Städten &c. verhalten sich dazu nur als Pertinenzstücke und werden in dem Lehenbriefe von 1235 ausdrücklich als solche bezeichnet. Nun werden aber eben die Städte Braunschweig und Lüneburg (zuweilen aber auch noch andere wie z. B. Hannover) als solche bezeichnet, welche ganz gemeinschaftlich bleiben sollen und es blieben sonach mit der Hauptsache auch die Pertinenzen de jure ungetheilt. Wir finden aber auch andere Stücke in sehr charakteristischer Weise der Theilung ganz entzogen; so die nur vermöge des Reichsfahnlehnes der fürstlichen Gewalt unterworfenen "freien Leute"; ferner das Fahnlehen selbst, wodurch eben dem Reiche gegenüber der Gedanke der fortdauernden Einheit oder Gemeinschaft einen entschiedenen Ausdruck findet; endlich, um nur noch Eins zu erwähnen, alle Außenlehen oder auswärtige Vasallen, wodurch eben nach Außen hin documentirt wird, daß alle Glieder des Hauses ein Rechtssubject bilden und womit die immer sich wiederholenden Erklärungen, daß heimgefallene Lehen Allen in gleicher Weise zuwachsen, wenn sie nicht einem ausschließlich überwiesen sind, im Zusammenhang stehen. Später, als die Gesammtbelehnung geordnet war, brauchte man auf die Fortdauer der von Alters her überbrachten Communions-Verhältnisse nicht mehr ein solches Gewicht wie früher zu legen. So wird daher z. B. auch die Stadt Braunschweig, nach der gemeinsam erzielten Unterwerfung im Jahre 1671, dem Herzog Rudolph August, gegen Entschädigung der lüneburgischen Vettern, allein überlassen. Bekannt ist aber, daß gewisse Communionsverhältnisse, z. B. der s. g. Communionharz, bis auf die neueste Zeit, als Reste der ungetheilten Rechtsgemeinschaft fortbestanden haben.
Einen andern vollgültigen Beweis für die fordauernde Rechtsgemeinschaft bilden die Gesammthuldigungen in dem Sinne, daß die Unterthanen der einen Linie auch den Fürsten der andern Linie die Erbhuldigung leisten mußten. So wurde in einem Vertrage von 1415, errichtet zwischen Bernhard und Heinrich, den Stiftern der mittleren lüneburgischen und braunschweigischen Linie festgesezt: "Auch sollen alle unsere Land und Leute, die wir jezt haben und noch bekommen werden, in welcher Weise das geschehe, eine Gesammt-Erbhuldigung thun und zu ewigen Zeiten bei uns und unseren Erben ungetheilt bleiben." (Ribbentrop, Beiträge S. 74.) Diese gegenseitige Erbhuldigung wurde forthin beibehalten und wiederholt stipulirt, wie namentlich in dem Hauptvertrage des ganzen mittleren braunschweigischen und lüneburgischen Hauses von 1442. (Erath, histor. Nachricht S. 72.) Deshalb erinnern auch die braunschweig- lüneburgischen Gesandten bei einer Verhandlung während des Reichstags zu Augsburg 1566, als es sich darum handelte, die Fürsten von Grubenhagen in die Reichsgesammtbelehnung aufzunehmen, daran, daß eine gegenseitige Erbhuldigung der Unterthanen Statt finde, und verbinden damit die weitere höchst bemerkenswerthe Aeußerung: "Ueberdas hat es auch bei den gedachten Fürstl. braunschweig. und lüneburg. Räthen den Verstand, daß Herzog Ernst und seine Brüder" (die drei damals noch lebenden Herzöge von Braunschweig-Grubenhagen) "mit ihren gnädigen Herrn und E. F. G." (von Lüneb. und Braunsch.) "ohne das in Sammtlehen sitzen und daß es allein daran mangelt, daß es in Briefen und Siegeln" (d. h. einem kaiserlichen Gesammtlehenbrief) "nicht vorgesehen" Auch später hat die eventuelle Huldigung an die fürstl. Successoren der andern Linie einen Bestandtheil des Lehens- und Diensteides gebildet und tritt noch heutiges Tages in dem Huldigungseide der hannoverschen Unterthanen hervor. Daß es eben so in Braunschweig-Wolfenbüttel gehalten werde, bezeugt z. B. noch Ribbentrop, Beiträge S. 74.
c. Im Bewußtsein der fortdauernden Rechtsgemeinschaft (unio perpetua, wie es ältere Schriftsteller ausdrücken) des fürstlich braunschweigisch-lüneburgischen Hauses und seiner angestammten Lande, wie sie auch von den deutschen Kaisern wiederholt ausdrücklich anerkannt worden ist und daneben in der Führung des gemeinsamen Titels und Wappens einen symbolischen Ausdruck bewahrte, hat man stets an dem Grundsatz festgehalten, daß Veräußerungen eines der in der Rechtsgemeinschaft stehenden Stücke in ihrer Gültigkeit durch die Zustimmung der Glieder der andern Linie bedingt sei, und hat, mit wenigen Ausnahmen, da, wo eine andere Linie zur Succession gelangte, um so mehr die Unverbindlichkeit der geschehenen Veräußerungen geltend gemacht, als man sich auch dabei auf die wiederholten Stipulationen der Hausverträge berufen konnte. Auch hat man
d. bei allen Theilungen dafür gesorgt, daß durch ausdrücklichen Vorbehalt des gegenseitigen Successionsrechts der Annahme eines, in der vorgenommenen Theilung liegenden, Verzichts entgegengetreten werde. Solcher conservatorischer Erbverträge hat (seit der ersten Theilung von 1269) fast jedes Jahrhundert eine Mehrzahl aufzuweisen und urkundliche Belege dafür haben wir, was das alte braunschweigische und lüneburgische Haus betrifft, von 1292, 1322, 1345, 1370, 1380; in dem mittlern braunschweigischen und Lüneburgischen Hause z. B. von 1428, 1432, 1442, 1569 (meistens schon nachgewiesen von Erath in der histor. Nachricht von den Erbtheilungen), wozu dann später noch die zwischen der cellischen und wolfenbüttelschen Linie seit 1635 abgeschlossenen Hausverträge kommen, wie namentlich der Vertrag wegen Lauenburgs vom 25. Januar 1706 und der Vertrag zur Erledigung der Gesammtbelehnungs-Differentien vom 6. November 1739.
Unter allen diesen Umständen ist nicht zu verwundern, daß auch die Kaiser als Inhaber der Reichslehensherrlichkeit wenn auch in einzelnen Fällen (wie namentlich von Karl IV. beim Erlöschen des alten lüneburgischen Hauses und später von Marimilian II. bei dem wahrscheinlich gewordenen Aussterben des grubenhagenschen Mannsstammes) der Versuch gemacht wurde, die Theorie von der durch die Theilung gebrochenen gesammten Hand zum Nachtheil des braunschweig-lüneburgischen Hauses geltend zu machen und die bisher von den einzelnen Linien empfangene besondere Belehnung zur Begründung eines angeblich eingetretenen oder zu erwartenden Heimfalls beim Erlöschen einer Speciallinie für sich oder Andere auszunuzen, sich doch der allgemeinen Anerkennung der die Zweige des welfischen Hauses fortdauernd verbindenden materiellen gesammten Hand durch eine alle Glieder des Hauses allmälig umfassende, Gesammtbelehnung und durch die urkundliche Bestätigung des gegenseitigen Successionsrechts derselben, nicht haben entziehen können. Der älteste Gesammtlehenbrief für Bernhard und Heinrich und deren Söhne, die Stifter der mittlern braunschweigischen und lüneburgiſchen Linie, ist vom König Ruprecht 1403 ausgefertigt. Grubenhagen war allerdings in dieser Gesammtbelehnung nicht begriffen und auch in den anderen Linien kommen nachher, zur Zeit Max I., Sonderbelehnungen vor. Kaiser Karl V. stellte aber auf Ansuchen der Herzöge Franz Otto (Lüneburg) und Heinrich d. J. (Braunschweig) die in der Gesammtbelehnung Max II. von 1570 (welche ausdrücklich auch die Herzöge von Grubenhagen in sich aufnahm) wörtlich wiederholte Erklärung vom 19. Juni 1555 aus, daß die im braunschweig - lüneburgischen Hause Statt gefundenen sonderlichen Belehnungen "keinen Theil an seiner Gerechtigkeit der Sammtlehen präjudiciren" solle; daß der Senior der Häuser Braunschweig und Lüneburg die Lehen für Alle empfangen könne und daß Jeder, der bisher eine besondere Belehnung empfangen habe, doch so angesehen werden solle, als ob er in der sambtlichen Lehenschaft begriffen gewesen sei. Im Hinblick auf die Bohlmann'schen Deductionen und die Rechte, die Herr Bohlmann aus der dem Kurfürsten Joachim von Brandenburg im Jahre 1564 auf Grubenhagen ertheilten Expectanz ableiten will, ist diese urkundliche Versicherung des Kaisers von 1555 von besonderer Erheblichkeit. Es ergiebt sich daraus noch um so einleuchtender die völlige Rechtswidrigkeit dieser Expectanzverleihung. Wäre sie aber auch gar nicht vorhanden gewesen, so würde doch, da der Kaiser ja nur das bestehende Recht des braunschweig-lüneburgischen Hauses anerkannte und es nicht etwa erst begründen wollte, der brandenburgischen Expectanz die Einrede der Erschleichung und gänzlicher Nichtigkeit entgegengestanden haben, und wenn die Fürsten des braunschweig - lüneburgischen Hauses, an der Spitze Herzog Julius von Braunschweig, auch formell dieser rechtswidrigen Expectanzertheilung die Spitze dadurch abzubrechen suchten, daß sie sich durch den Vertrag zu Braunschweig vom 13. März 1566 gegenseitig, einschließlich der Fürsten von Grubenhagen, die gesammte Hand und das gegenseitige Successionsrecht ausdrücklich zuerkannten und die Aufnahme der grubenhagenschen Fürsten in die Gesammtbelehnung beim Kaiser Max II. auf dem Reichstag zu Augsburg betrieben und 1570 wirklich erlangten; so haben sie sich nur gegen die brandenburgischen, ihr unbestreitbares Recht verlegenden, Machinationen verwahrt und den ihnen "gespielten Streich" unschädlich zu machen gesucht. Von der Verletzung eines "wohlerworbenen Rechts" des Hauses Brandenburg kann dabei nur Derjenige fabeln, welcher Recht und Geschichte auf den Kopf zu stellen keinen Anstand nimmt. Und wie Kaiser Max II. selbst erkannt hat, daß er durch die Vorspiegelung eines bevorstehenden Heimfalls des Fürstenthums Grubenhagen an das Reich düpirt worden sei, zeigt, nächst dem Lehenbrief von 1570, ganz augenscheinlich der dem Kurfürsten Johann Georg von Brandenburg ertheilte Expectanzbrief von 1574, durch welchen, an der Stelle der auf Grubenhagen beschränkten Expectanz von 1564, dem Brandenburger und seinen Nachkommen eine Anwartschaft auf die gesammten braunschweig - lüneburgischen Lande für den Fall des gänzlichen Aussterbens des gesammten welfischen Mannsstammes ertheilt wurde. Daß auch diese Expectanz rechtlich ungültig ist, weil sie das im braunschweig-lüneburgischen Hause begründete und durch das pactum investiturae von 1235 anerkannte cognatische Erbrecht in verletzender Weise ignorirt, versteht sich ganz von selbst und wollen wir uns bei diesem hoffentlich nie praktischen Punkte weiter nicht aufhalten. Ganz unbegreiflich wird jedenfalls für jeden unbefangenen Beurtheiler der einschlagenden Verhältnisse bleiben, wie man die Stirn haben kann, nach der vom Kurfürsten Johann Georg angenommenen Expectanz von 1574 noch von einem aus der Expectanz von 1564 geltend zu machenden Rechte zu reden. Herr Bohlmann leistet aber gerade hier, wie wir gesehen haben, das Aeußerste. Ihn genirt das gar nicht, daß die von ihm selbst abgedruckte Urkunde von 1574 auf das deutlichste die neue erweiterte Expectanz als eine Entschädigung für die aus der Anwartschaft von 1564 vermeintlich erlangten Rechte gegen den Kaiser bezeichnet; daß die neue Expectanzverleihung gar keinen Sinn und keinen Zweck hatte, wenn sie nicht das Aufgeben der 10 Jahre vorher gegebenen in sich schloß und eben so wenig, daß eine kaiserliche Expectanz auf Grubenhagen auch nicht den mindesten Rechts-Anspruch auf das jeßige Herzogthum Braunschweig begründen kann. Einen von den concludentesten Factis getragenen stillschweigenden Verzicht will Herr Bohlmann nicht gelten lassen. Der Umstand allein, daß Kurfürst Johann Georg im Jahre 1596, als die grubenhagensche Linie wirklich erloschen war und Heinrich Julius von Braunschweig sich in den Besitz des Fürstenthums gesetzt hatte, in einem an seinen Neffen gerichteten Handschreiben an seine vermeintlichen Rechte aus der Expectanz von 1564 erinnerte, oder, wie wir sagen müssen, zu erinnern sich nicht schämte, ohne sie jedoch nach erhaltener zurückweisender Antwort irgendwie weiter zu verfolgen, oder, was gewiß eben so natürlich als nothwendig war, in dem zwischen den lüneburgischen und braunschweigischen Agnaten beim Kaiser und Reichshofgericht verhandelten Rechtsstreit als Intervenient zu verfolgen, - ist ihm Beweis genug, daß Brandenburg seine Ansprüche nicht aufgegeben habe und sie noch heutiges Tages auf das beliebig untergeschobene Surrogat, das Herzogthum Braunschweig, geltend machen könne. Fast sollte man glauben, Herr Bohlmann meine, eine aus der Luft gegriffene Protestation sei ein ganz genügendes Rechtsbegründungsmittel. Herzog Heinrich Julius (Enkel des Kurfürsten Joachim II.) antwortete, wie Herr Bohlmann selbst S. 24 in dankenswerther Weise referirt, am 25. Juni 1596: "Kurfürst Joachim II. habe befremdlicher Weise ihn, der von Joachims Tochter im Jahre 1564 geboren worden, in demselben Jahre durch die Expectanz um sein Erbe geschmälert und er könne doch wohl erwarten, daß aus dieser verwandtschaftlichen Rücksicht Johann Georg auf seiner Forderung nicht bestehen werde." Kurfürst Johann Georg verschluckte die etwas überzuckerte, aber gewiß recht bittere, Pille und schwieg, wie er ehrenhalber nicht anders konnte. Für Herrn Bohlmann existirt aber in dieser Antwort nur die höfliche Erinnerung an die verwandtschaftliche Rücksicht. Er meint: Als Grubenhagen, in Folge des erwähnten Processes, von Friedrich Ulrich herausgegeben werden mußte, "lag für das Kurhaus Brandenburg zu jener Nachsicht kein Grund mehr vor." Also hat nun wohl, sollte man als Nachsatz erwarten, Brandenburg seine Rechte jezt ohne Rücksicht geltend gemacht? Ach nein, Brandenburg hat auch fernerhin rücksichtvollster Weise über anderthalb Jahrhunderte bis auf diesen Tag geschwiegen und weder beim Kaiser, noch beim Reichskammergericht, noch bei Herzog Christian von Celle noch sonst irgendwo und irgendwie seine Ansprüche geltend gemacht und dieselben weder bei Auflösung des Reichs sich reservirt, noch auf dem Wiener Congreß und den gleichzeitigen oder spätern Gebietsaustausch - oder Territorialregulirungsverhandlungen und mit Hannover abgeschlossenen Verträgen angemeldet oder auch nur leise in Erinnerung gebracht! Herr Bohlmann versichert troß alledem (S. 25): "es habe später an jeder Gelegenheit gefehlt, die Expectanz von 1564 in einer entschiedenern Weise geltend zu machen."
Wenn aber auch überhaupt die brandenburg-grubenhagensche Expectanz von 1564 je rechtlichen Bestand gehabt hätte und der erweiterten von 1574 nicht das cognatische Erbrecht im braunschweig - lüneburgischen Hause entgegenstände, wenn Braunschweig Grubenhagen wäre und die Expectanz von 1574 nicht die Aufhebung der von 1564 in sich schlösse, was, fragen wir, wäre denn für die jeßige Zeit damit gewonnen, wo mit der Auflösung des deutschen Reichs der Debitor völlig cessirt, gegen den allein das etwaige Recht aus einer kaiserlichen Expectanz geltend gemacht werden könnte? wo von Successoren die in seine Verpflichtungen eingetreten wären, der Natur der Sache nach gar keine Rede sein kann? Daß eine Expectanz auch nicht bedingter Weise ein dingliches Recht an ihrem Gegenstand constituirt, wie dies bei der Eventual-Belehnung der Fall ist, sondern nur ein obligatorisches Verhältniß zwischen dem Lehnsherrn und Expectivirten, resp. ihren beiderseitigen Erben und Nachkommen begründet, ist bis jezt doch wohl allgemein anerkannt und unbezweifelt Rechtens gewesen. Auch ist eine Lehens-Expectanz offenbar kein Erbvertrag. Sie begründet kein unmittelbar geltend zu machendes Successionsrecht, sondern nur eine rechtlich begründete Erwartung auf Lehensconstituirung gegen den, welcher sie ertheilte. Indessen Herr Bohlmann weiß auch hiergegen Rath. Die Gegensätze zwischen obligatorischer und dinglicher Befugniß (sagt er S. 53) "drücken die historische Substanz des Lehensbandes nicht erschöpfend aus," die Expectanz auf eine Landeshoheit ist staatsrechtlicher Natur und haftet "analog einer Staatsschuld" auf dem Lande selbst, für welches sie ertheilt ist. Also kann Preußen auch jezt noch und in alle Ewigkeit sein Recht aus der kaiserlichen Expectanz von 1564 geltend machen! - Hoffentlich wird sich aber Niemand von dem Glanze dieser neuen Theorien bestechen lassen, die, einfach ausgedrückt, auf, juristische Absurditäten umhüllende, Phrasen hinauslaufen. - Daß das begründete Lehensverhältniß gemischter Natur ist, in sofern sich mit dem dominium directum und utile gegenseitige Obligationen von Lehensherrn und Vasallen verknüpfen, weiß jeder Anfänger der Feudal - Jurisprudenz; eben so gewiß ist aber auch, daß da durch an der rechtlichen Natur der Lehens-Expectanz als eines bloßen auf eine Investitur gerichteten Versprechens, mag dasselbe einen Gegenstand betreffen, welchen es wolle, mag derselbe staatsrechtlicher oder privatrechtlicher, resp. gemischter Natur sein, nicht das Mindeste geändert wird. Und zugegeben, daß eine Expectanz, welche ein Regent auf Thronlehen für den Fall der Eröffnung derselben ertheilt hat, auch seine Regierungsnachfolger bindet; immer bleibt als wesentliche Vorausseßung beſtehen, daß überhaupt von einer Regierungs-nachfolge oder Staatssuccession die Rede sein kann. Wo ein Staatskörper so wie das deutsche Reich aufgelöst wird und gar keine Rechtsnachfolger in Betreff seiner Hoheitsrechte existiren, ist selbstverständlich auch der Uebergang der Hoheitspflichten ausgeschlossen. Daß deutsche Fürsten, insoweit es ihnen vortheilhaft erschien, kaiserliche Rechte occupirt haben - abgesehen von der ipso jure eintretenden Vervollständigung ihrer Landeshoheit zur Souverainetät - ist allerdings Thatsache; und so haben sie sich namentlich auch die Lehensherrlichkeit über die mediatisirten Reichsstände theilweise beigelegt, obwohl die rechtliche Folge des Aufhörens der Reichslehensherrlichkeit nur die einer Appropriation sein konnte. Allein solche Facta, welchen andere Facta contraria überdies alle Kraft entziehen, bilden noch kein Jus; und zugegeben, der Rechtspunkt gestaltete sich anders, wer soll denn als der Successor in die vormalige Reichslehensherrlichkeit über souverain gewordene deutsche Staaten oder Bestandtheile derselben betrachtet, wer soll als das durch die kaiserliche Expectanz verpflichtete Subject angesehen werden? - Mit der Analogie der Staatsschuld endlich, auf welche Herr Bohlmann großes Gewicht zu legen scheint, kommt man um keinen Schritt weiter. Auch Staatsschulden sind an sich rein obligatorische Verhältnisse, die nur den Debitor und seine Erben oder jeden Staatssuccessor verpflichten, die aber nothwendig erlöschen müssen, wenn von einer Nachfolge in die Staatsgewalt, die sie contrahirt hat, in keiner Weise die Rede sein kann.
Herr Bohlmann hat aber, wie wir schon in dem kurzen Referat seiner überraschenden Deductionen hervorhoben, noch andere Entdeckungen zur Rettung der Fortdauer seiner brandenburgischen Expectanzen, insbesondere der von 1564, gemacht. Erstens behauptet er (S. 29), diese Expectanzen hätten sich dadurch in Eventualbelehnungen verwandelt, daß Brandenburg 1699 vom Kaiser "mit allen bisher erlangten Rechten und Anwartschaften beliehen worden sei." Angenommen indeß, daß sich dies wirklich so verhalte, heißt das denn, die Expectanz ist in eine Eventualbelehnung verwandelt worden? Ganz gewiß nicht. Die Anwartschaft blieb troßdem eine Anwartschaft, wie überhaupt kein Recht dadurch seinen innern Charakter ändert, daß es Gegenstand der Belehnung wird; und die juristische Bedeutung dieses Umstandes beschränkt sich für Jeden, der sehen will, darauf, daß die Verbindlichkeit der ertheilten Anwartschaften für die Nachfolger im Reiche, deren Verpflichtung aus Expectanzen der Vorgänger eine sehr bestrittene Sache war, dadurch bestärkt werden, oder eine "Corroboration" erhalten sollte. - Zweitens, versichert Hr. Bohlmann (S. 26): "Die Streitfrage, ob die Auflösung des deutschen Reichs 1806 die kaiserlichen Expectanzen, wie hier die grubenhagensche, ungültig gemacht habe, reiche an das Privilegium von 1564 gar nicht hinan. Der in demselben vorgesehene Fall sei im J. 1596, also mehr als zwei Jahrhunderte vor dem Aufhören des Reichsverbandes eingetreten; Preußen würde also, wenn es jezt mit Ansprüchen aus der grubenhagenschen Expectanz hervorträte, nur einen Rechtstitel exequiren, hinsichtlich dessen schon 1596 actio nata vorlag." Allein auch mit dieser seinen Wendung wird nicht das Mindeste gewonnen. Denn offenbar ist es für ein erloschenes Recht völlig gleichgültig, wann es mit einer Klage hätte geltend gemacht werden können, und wo kein Schuldner mehr existirt, kann es nichts helfen, wenn man die Klage auch schon Jahrhunderte früher hätte anstellen können. Auf die von Herrn Bohlmann auch behandelte Frage, wie es zur Zeit der Ertheilung der fraglichen Expectanzen mit der reichsverfassungsmäßigen Berechtigung der Kaiser zur Ertheilung von Expectanzen auf Reichsthronlehen gestanden habe, brauchen wir uns unter diesen Umständen gar nicht einzulassen, und wollen die Leser nur noch auf einen Satz der Bohlmann'schen Schrift aufmerksam machen, welcher den neuen Theorien des Verfassers die Krone aufsetzt. In Verbindung mit der Ausführung, daß die Landesherrn ursprünglich nur kaiserliche Beamte gewesen und die Landeshoheit auch später eine dem Kaiser untergeordnete obrigkeitliche Macht über ein Territorium des Reichs geblieben sei, sagt Herr Bohlmann S. 54: "Von diesem Standpunkt aus stellt sich ein expectivirter Herrscherstamm ursprünglich als im Voraus Ein für Allemal zum Nachfolger im Amt resp. in der Landeshoheit designirt dar; in sofern beruhen Expectanz und vasallitisches Verhältniß auf gleicher Quelle (??). Später (?) gewinnen aber viele Expectanzen, und so die hier vorliegenden von 1564 und 1574, den Charakter eines Aequivalents (!) für Verdienste um das Reich und bei dem über das Reichsvermögen im Anfang dieses Jahrhunderts ausgebrochenen Quasi-Liquidationsverfahren werden unsere Anwartschaftsrechte so zu sagen unter den Passivis des Reiches vorgefunden." - Das ist doch, so zu sagen, eine ganze Sammlung von juristischem Nonsens in einem Satze! -
Fassen wir schließlich die für die s. g. braunschweigische Successionsfrage in Betracht kommenden Hauptpunkte noch kurz zusammen, so stellen sich als unbestreitbare Sätze heraus:
1) Der Anspruch der Krone Hannover auf die Thronfolge im Herzogthum Braunschweig für den Fall, daß die dasige Speciallinie im Mannsstamm erlöschen sollte, beruht auf der alten und rechtlich vollkommen feststehenden Successionsordnung des welfischen Fürstenhauses. Das Recht Hannovers ist in seiner historischen Basis Jahrhunderte älter, als irgendwie von hohenzollern - brandenburgischen Anwartschaften die Rede sein konnte. Unleugbar ist der Vorzug des Mannsstamms vor Töchtern und allen Cognaten; unleugbar aber auch das durch das pactum investiturae von 1235 anerkannte und rechtlich nie erloschene eventuelle oder subsidiäre Erbrecht der Cognaten.
2) Das Successionsrecht der agnatischen Seitenverwandten konnte durch die Theilungen nicht gebrochen werden und ist in Wahrheit niemals gebrochen worden. Die unio perpetua der braunschweig - lüneburgischen Lande, die fortdauernde Rechtsgemeinschaft der Zweige des welfischen Hauses steht unwiderleglich fest. Sie wird im Laufe einer länger als sechshundertjährigen Geschichte erwiesen durch den Inhalt und Charakter der Theilungen selbst, durch den von Jahrhundert zu Jahrhundert sich wiederholenden Wiederzusammenschluß getrennter Theile, durch eine ganze Reihe von Präcedenzfällen, in welchen das agnatische Successionsrecht der Seitenverwandten geltend gemacht worden ist, durch die zu allen Zeiten dieſes gegenseitige Successionsrecht anerkennenden Hausverträge, und seit dem 16. Jahrhundert auch dem Reich gegenüber, durch die ununterbrochen fortbeobachtete Form der Gesammtbelehnung.
3) Die Auflösung des deutschen Reichs im Jahre 1806 hat in der hier in Betracht kommenden Beziehung keine andere Wirkung gehabt, als die völlige Erlöschung der lehensherrlichen Rechte von Kaiser und Reich in Betreff des Herzogthums Braunschweig-Lüneburg und seiner Pertinenzen und des Wegfalls aller Ansprüche, die ihrer Natur nach nur gegen Kaiser und Reich als das verpflichtete Subject geltend zu machen waren. Das Successionsrecht und die Successionsordnung in der bis dahin vasallitischen Familie des welfischen Hauses hat, einem ganz allgemein anerkannten Rechtssatz gemäß, durch die eingetretene Appropriation des Reichslehens, gar keine Aenderung erfahren, und die hannoverschen und braunschweigischen Haus- und Landes-Verfassungsgesetze der neuern Zeit haben nur das uralte Recht des Gesammthauses bestätigt, wenn sie das gegenseitige Successionsrecht der hannoverschen und braunschweigischen Speciallinie ausdrücklich anerkennen und eine Sanction des Vorzugs des Mannsstammes, so wie den eventuellen Eintritt eines cognatischen Succeſſionsrechts aussprechen.
4) So wie hiernach überhaupt Niemand existirt, der prioritätische Ansprüche auf Braunschweig vor der Krone Hannover geltend machen könnte, so sind auch die von Herrn Bohlmann für Preußen ans Licht gestellten s. g. Rechtsgründe völlig nichtig und unhaltbar. Kaiserliche Expectanzen können überhaupt heutiges Tages keinen Rechtstitel mehr bilden zur Begründung eines Succeſſionsrechts; die Expectanzen von 1564 und 1574 verlegten das Recht des welfischen Hauses und waren schon deshalb von vornherein nichtig; die zum Präjudiz dieses Hauses erschlichene Expectanz von 1564 ist durch die Anwartschaft von 1574 aufgehoben und könnte, auch wenn sie noch in rechtlicher Wirksamkeit bestände, keinen Anspruch auf Braunschweig geben, da sie gar nicht dieses, sondern das Fürstenthum Grubenhagen zum Gegenstand gehabt hat. - Wo möglich noch leerer und unerfindlicher aber ist die Berufung auf die cognatischen Erbrechte Preußens. Ein cognatisches Erbrecht, welches, wie es hier vorausgesezt wird, vor gänzlicher Erlöschung des Mannsstamms wirksam werden könnte, hat im welfischen Hause niemals in anerkannter Wirksamkeit bestanden. Hätte es aber auch existirt, so ist es unbestreitbar seit 1235 in ein durchweg subsidiäres verwandelt worden. Nimmt man dagegen, wie Herr Bohlmann will, an, mit der Errichtung des Reichslehens Braunschweig-Lüneburg sei überhaupt das cognatische Erbrecht ganz erloschen, so konnte es mit der Aufhebung der Lehensqualität nicht von selbst in der alten Gestalt wieder aufleben; es konnte den einmal zum geltenden Rechte gewordenen, im Verlaufe von sechs Jahrhunderten und darüber ohne Abweichung befolgten, Grundsatz vom unbedingten Vorzuge des Mannsstammes durch sein Wiedererwachen nicht beeinträchtigen und nicht mit rückwirkender Kraft die Hausgesetze und Landesverträge über den Haufen werfen, welche, mit Ausschluß aller Töchter und Cognaten, den Mannsstamm des welfischen Hauses zur Succession berufen.
5) Verhielte sich aber endlich in Betreff des cognatischen Erbrechts im braunschweig-lüneburgischen Hause Alles so, wie es Herr Bohlmann zu postuliren beliebt hat, und gäbe es noch zehnmal mehr Heirathen preußischer Prinzen und Herrscher mit welfischen Töchtern und umgekehrt, als von ihm auf einer besondern Stammtafel (II. D.) zusammengestellt worden sind, so würde damit doch noch kein prioritätischer Anspruch Preußens vor Hannover begründet sein. Denn wenn, wie allgemein anerkannt ist und auch von Herrn Bohlmann zugegeben wird, beim Eintritt der cognatischen Erbfolge die Nähe des verwandtschaftlichen Grades zum letzten Besitzer vom Mannsstamm zwischen den mehrern cognatischen Prätendenten entscheidet, so würde sich natürlich auch bei einer Beerbung des letzten Herzogs von Braunschweig, in Ermangelung einer lebenden Prinzessin des braunschweigischen Hauses, fragen, wer (abgesehen von den cognatischen Beziehungen anderer Fürstenhäuſer, zu deren Abfertigung Herr Bohlmann die brandenburgische Expectanz von 1574 für genügend erachtet) der nähere Blutsverwandte des Herzogs Wilhelm sei, ob Se. Majeſtät der König von Hannover, oder Se. Majestät der König von Preußen? Nun weiß aber Herr Bohlmann für Letzteren kein näheres blutsverwandtschaftliches Verhältniß geltend zu machen, als daß die Urgroßmutter desselben, die Gattin des Prinzen August Wilhelm von Preußen (des Bruders Friedrichs d. Gr.), die Prinzessin Louise Amalie von Braunschweig war, von deren Vater, dem Herzog Ferdinand Albrecht II. von Braunschweig († 1735), Se. Hoheit der jezt regierende Herzog Wilhelm von Braunschweig auch im vierten Grade abstammt. Hieraus ergiebt sich eine cognatische Seitenverwandtschaft im achten Grade civiler, oder im vierten Grade gleicher Seitenlinie canonischer Computation. Dagegen ist Se. Majestät König Georg V. von Hannover mit Sr. Hoheit dem Herzog Wilhelm von Braunschweig, abgesehen von der, auf Ernst den Bekenner als gemeinschaftlichen Stammvater der beiden Linien des welfischen Hauses zurückzuführenden, zur Begründung des Thronfolgerechts Hannovers allein schon genügenden, agnatischen Verwandtschaft, auch cognatisch näher verwandt, als König Wilhelm von Preußen, nämlich im sechsten Grade civiler oder dritten Grade canonischer Computation. Denn in cognatischer Beziehung treffen König Georg V. und der Herzog Wilhelm in Friedrich Ludwig, Prinzen von Wales († 1751), zusammen deſſen älteste Tochter, Prinzessin Auguste, Schwester Georg III., 1764 mit dem damaligen Erbprinzen Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig, dem Großvater des Herzogs Wilhelm, vermählt wurde. Die Prinzessin Auguste ist die Großmutter des Herzogs Wilhelm von Braunschweig und die Großtante Königs Georg V., womit die nähere cognatische Verwandtschaft des Letzteren zur Genüge erwiesen ist. Was Herr Bohlmann S. 64 über jene Ehe Karl Wilhelm Ferdinands mit der Prinzessin Auguste bemerkt, ist in der That völlig unverständlich. Er sagt: "Zwar stammt auch Herzog Wilhelm von Braunschweig, als Enkel Beider, in gerader Linie aus dieser Verbindung ab, nicht aber die heutigen Herrscher von Hannover. Es hieße die Schwiegerväter mit Agnaten verwechseln, wenn man auf diese Ehe hier Gewicht legen wollte." Vergebens bemüht man sich, in dieser Phrase irgend einen vernünftigen Sinn zu entdecken. Was soll hier die unbegreifliche Warnung, daß man Schwiegerväter und Agnaten nicht mit einander verwechseln dürfe? und wer hat das je gethan? Wenn es unleugbar ist, daß Friedrich Ludwig, der Prinz von Wales, der Urgroßvater sowohl des Herzogs Wilhelm als Königs Georg V. ist, so wird wohl auch Herr Bohlmann zugeben müssen, daß dies Blutsverwandtschaft und kein blos schwägerschaftliches Verhältniß ist. Es bleibt daher ein völlig unlösbares Räthsel, was eigentlich mit jenem Einwand hat gesagt werden sollen; und doch knüpft Herr Bohlmann unmittelbar daran die Schlußfolgerung: "Preußen ist also nach Maßgabe des alten welfischen Erbrechts in cognatischer aber neun Grade näherer Abstammung erbfolgebefugt in Braunschweig vor Hannover." - Wenn nicht Alles auf puren Unsinn hinauslaufen soll, so ist nur die Erklärung möglich, daß es in Betreff der cognatischen Verwandtschaft zweier Familien zu einer dritten einen Unterschied mache, ob eine Frau in dieselbe hineingeheirathet oder aus derselben herausgeheirathet hat. Dies hat aber Herr Bohlmann nirgends gesagt und wohl auch nicht behaupten wollen, da dann wieder nicht zu begreifen wäre, weshalb er alle Heirathen brandenburgischer Prinzessinnen in das welfische Haus hinein, zur Documentirung der vielfachen cognatischen Beziehungen beider Häuser mit einander, so sorgfältig registrirt hat.
Dies mag vorläufig zur Kennzeichnung und Würdigung der Bohlmann'schen Denkschrift genügen. Einer weitern Ausführung, die hier nicht am Platze sein würde, wird auch die Nachweisung der völligen Nichtigkeit Alles dessen vorbehalten bleiben müssen, was Herr Bohlmann insbesondere im sechsten Capitel zur Bemängelung des unbestreitbar feststehenden agnatischen Sucessionsrechts im braunschweig - lüneburgischen Hause vorgebracht hat. Das, gleich Anfangs über die Schrift im Ganzen ausgesprochene Urtheil glauben wir schon jezt für jeden Unbefangenen zur Genüge gerechtfertigt zu haben. Was Herr Bohlmann, offenbar im Gefühle der Schwäche seiner Rechtsdeductionen, kurz vor der Apostrophe an die braunschweigische Landesvertretung, mit poetischer Licenz über die "Fahnengemeinschaft" zwischen Preußen und Braunschweig und "den Heldentod einer Reihe braunschweigischer Fürsten, den diese auf dem Felde der Ehre für Preußen freudig erlitten hatten" eingeflochten hat, um damit zu beweisen, daß, abgesehen von den Rechtstiteln, den braunschweigischen und den preußischen deutschen Volkstheil noch ein Band von tiefer und inniger Weihe umschlinge, welches den Verträgen und Verwandtschaften, auf welche sich die Abhandlung stütze, eine ganz besondere (?!) Bedeutung gebe," entzieht sich selbstverständlich jeder wissenschaftlichen Kritik. Jedermann wird aber billig fragen, wo denn die Opfer seien, die Preußens Fürſten für Braunschweig gebracht haben, da es doch gewiß für Ansprüche Preußens auf Braunschweig nur hierauf, nicht aber darauf ankommen könne, was Braunschweigs Herzöge, nicht immer im wohlverstandenen Interesse ihres Landes und zum Theil mit den unheilvollsten Folgen für das ganze Herzogthum, für Preußen gethan haben. Und wenn endlich Herr Bohlmann das 9. Capitel auf S. 65 so beschließt:
"Beim Zusammentreffen so bedeutender Verknüpfungsmomente ist es wohl natürlich, daß man jezt in Braunschweig fast einstimmig nach einem Anschluß an Preußen für den bevorstehenden Aussterbefall verlangt. Der Unterschied einesnsolchen Anschlusses von den modernen Annexionen liegt auf der Hand" -
so wird die vorstehende kurze Würdigung der für preußische Ansprüche auf das Herzogthum Braunschweig in der Bohlmann'schen "Denkschrift" geltend gemachten Rechtstitel jedem Unparteiischen die Ueberzeugung gewähren, daß eine darauf zu gründende und unter Berufung auf das angebliche, mit Nichts bewiesene, Verlangen der Braunschweiger zu vollziehende Incorporation "den modernen Annerionen" so ähnlich sein würde, wie ein Ei dem andern.
Druck von Bär & Hermann in Leipzig