Die hannoversche zweite Cammer
am 30. April 1864
und
das englische Blaubuch.
Zweite, mehrfach veränderte Auflage.
Hannover.
Klindworth's Verlag.
1864.
Klindworth's Hof Druckerei in Hannover
Die Hannoversche zweite Cammer hat am 30. April in der schleswig-Holsteinischen Sache einen Beschluß gefaßt, der im dritten Absatze sich ausspricht, wie folgt: „Stände halten es für ihre dringende Pflicht, dem allgemeinen Bedauern und dem tiefen Mismuth über diese Dinge (d. h. über den Inhalt des englischen Blaubuches) Ausdruck zu geben, und die Königliche Regierung dringend zu ersuchen, schleunigst offen sich darüber zu erklären, ob und inwiefern der erwähnte Inhalt jener in dem Blaubuche enthaltenen Depeschen in der Wahrheit begründet ist" u. s. w.
Man sieht, der Tadel für die Regierung, der in diesen Worten liegt, gründet sich nicht auf Thatsachen, welche die Regierung gethan oder unterlassen, sondern auf die Worte einer dritten, dem Lande nicht angehörenden Person. Mittelbar liegt darin ein wichtiges Zugeständnis, nämlich dieses, daß die Handlungen der Regierung zu einer Anklage nicht berechtigen.
Seitdem hat sich dieses immer klarer herausgestellt. Die Erklärung der Regierung in der ersten Cammer am 10. Mai über ihr Verhalten in dieser deutschen Sache, der Ausdruck der Überzeugung des Ministers der auswärtigen Angelegenheiten, daß nur durch Lostrennung der Herzogthümer von Dänemark ein dauernder Friede erreichbar sein werde - diese Erklärungen bestimmten am 12. Mai die erste Cammer, den Beschluß der zweiten Cammer einstimmig abzulehnen. Demgemäß trat eine Conferenz zusammen. Dieselbe stellte sich prinzipiell nicht auf den Standpunkt der ersten Cammer, nämlich daß die Correspondenz eines fremden Gesandten nicht geeignet sei, als Grundlage zu einem Tadelsvotum gegen die Politik der hannoverschen Regierung zu dienen, sondern die Conferenz begab sich auf den Standpunkt der zweiten Cammer, nur mit dem Unterschiede, daß sie ein Tadelsvotum in gemilderter Form vorschlug. Der Antrag gelangte am 6. Juni an die erste Cammer. Diese selbst indessen verfuhr folgerechter als die Mitglieder, welche sie zu der Conferenz entsendet hatte.
Sie lehnte den Antrag derselben ab.
Inzwischen lag als neue Thatsache vom selben Tage, dem 6. Juni, auf eine Interpellation in der zweiten Cammer die Antwort des Justizministers vor, „daß die Bevollmächtigten von Östreich und Preußen im Vereine mit dem Gesandten des deutschen Bundes auf der Londoner Conferenz die Lostrennung der Herzogthümer von der dänischen Krone und deren ungetrennte Vereinigung in einen unabhängigen, dem deutschen Bunde einzuverleibenden Staate unter der erblichen Souveränität des Prinzen von Augustenburg zu erreichen streben", und ferner, „daß die Königliche Regierung, so viel an ihr ist, diesen Bemühungen sich anschließt."
Durch diese Erklärungen ist auch die letzte Möglichkeit eines Zweifels über das Endziel der Politik unserer Regierung abgeschnitten.
In der zweiten Cammer hat am 9. Juni der Generalsyndikus Herr v. Bennigsen über die Conferenz und den Beschluß der ersten Cammer vom 6. Juni Bericht erstattet und den Antrag einer verstärkten Conferenz gestellt. Dieser Antrag ist angenommen. Demgemäß ist die Sache noch nicht erledigt, und um so mehr ist es Pflicht, die Prinzipienfrage zu erörtern, mit welchem Rechte die zweite Cammer ihr Tadelsvotum vom 30. April ausgesprochen hat und allem Anscheine nach auch bei dem nunmehr völlig klar vorliegenden Stande der Sache dem Wesen nach noch aufrecht erhalten will.
Blicken wir nun aber auf das Ganze zurück.
Weil die Handlungen der Regierung nach dem Stande der Sache auch am 30. April zu einem Tadel nicht berechtigten, nahm man seine Zuflucht zu fremden Worten über Hannover. Daß die Regierung von Anfang an nach jenem ersten Beschlusse der zweiten Cammer sich nicht in eine Erörterung über Worte einlassen würde, die von einer anderen, ihr nicht verantwortlichen Persönlichkeit ihr beigemessen wurden, das zu errathen, erforderte nicht einen großen Scharfsinn.
Wenn aber auch mit ziemlicher Gewisheit anzunehmen war, daß die Regierung selber in keiner Weise sich auf eine solche Erörterung einlassen würde: so schien es doch dem Verfasser dieser Zeilen im Interesse des Friedens unseres Landes zu liegen, daß von völlig unbetheiligter Seite diese Dinge einer eingehenden Prüfung unterzogen würden, um denen, die über die Einzelheiten sich ein eigenes Urtheil bilden wollen, das Material dazu an die Hand zu geben. Der Zweck dieser Schrift ist mithin die Untersuchung, auf welchen Grundlagen die Anklage des Herrn Miquel beruht, die Anklage also, welche gemäß dem Wunsche des Herrn Miquel die zweite Cammer am 30. April sich angeeignet hat. Indem wir das Verfahren des Herrn Miquel einer Prüfung unterziehen, prüfen wir zugleich dasjenige der zweiten Cammer selbst.
Betrachten wir also zunächst dieses Blaubuch. Es enthält zuerst offizielle Noten. Die Glaubwürdigkeit derselben ist unzweifelhaft. Es enthält ferner Berichte englischer Gesandten von offizieller und darum objectiv glaubwürdiger Natur, insofern nämlich diejenige Regierung oder derjenige Minister, deren Ansichten ausgesprochen werden sollen, den betreffenden Bericht vorher einſieht und dadurch verificirt. Das Blaubuch enthält endlich drittens eigene Berichte der Gesandten selbst nach ihrer eigenen Auffassung der Dinge. Wenn auch an der subjectiven Wahrhaftigkeit dieser dritten Art von Berichten kein Zweifel erhoben wird: so fragt es sich doch, ob solche Berichte immer den objectiv richtigen Thatbestand getreu wiederspiegeln. Es ist möglich, auch wahrscheinlich, aber nicht gewiß. Ich citire beispielsweise einen Bericht des englischen Gesandten Herrn Howard vom 18. Dezember 1863 (Bluebook Nr. 480). „Man kann kaum daran zweifeln," sagt er, „daß die Agitation für Schleswig-Holstein eine revolutionäre Bewegung ist, ins Werk gesezt von der Partei, welche danach trachtet, die bestehende Ordnung der Dinge umzustürzen. Sie hat deshalb mit geschickter Berechnung zu ihrem Hebel eine Frage gemacht, welche die Sympathien eines großen Theiles der Deutschen für sich hat, und zwar auch derjenigen, welche sonst dem politischen Treiben jener Partei abgeneigt, aber zu kurzsichtig sind, um die Gefahren der Richtung zu erkennen, in welche man sie hineintreibt." In ähnlicher Weise äußert sich der Lord Loftus am 23. Dezember 1863 aus München (Bluebook Nr. 487): „Es ist einigermaßen merkwürdig, daß die Demokratie der äußersten Linken, welche bis jetzt das monarchische Prinzip nicht als die Grundlage ihres politischen Glaubensbekenntniſſes proclamirt hat, in dieser Sache immer voran ist, um das Recht der Legitimität hervorzuheben."
Man sieht, dies sind eigene Ansichten der englischen Gesandten, und zwar solche, über deren Richtigkeit wir hier zu Lande das Urtheil der Mehrheit der zweiten Cammer anheimstellen. Diese eigenen Meinungen der englischen Gesandten betreffen selbst Personen, mit denen sie amtlich nicht in Verkehr stehen. Z. B. sagt Herr Howard am 10. März 1864 (Bluebook Nr. 1152): „Das Lob des Herrn von Bennigsen für das Verhalten der Regierung in Betreff der Würzburger Conferenzen habe augenscheinlich den Zweck, einen Einfluß auf dieselbe zu gewinnen, und sie nach und nach in seine gewaltsamere Richtung hineinzuziehen."
Ich glaube kaum, daß die Partei des Herrn von Bennigsen von demselben verlangen wird, sich in Betreff dieser Ansicht, die ein Anderer von ihm hat, zu rechtfertigen. Es ist überhaupt keinem Menschen möglich, sich wegen dessen zu rechtfertigen, was Andere über ihn denken und nach Umständen auch sagen.
Man würde indessen zu weit gehen, wenn man dem Herrn Howard auch nur entfernt vorwerfen wollte, daß er seine sehr zahlreichen Berichte selber so angesehen haben könnte, als werde dadurch für seine Auffassung der Dinge irgend Iemand verantwortlich gemacht. Er berichtet der Regel nach von Unterhaltungen (conversations) mit dem hannoverschen Minister des Auswärtigen. Es ist ihm sicherlich auch nicht entfernt in den Sinn gekommen, daß diese seine Auffassungen hannoverscher Dinge jemals dazu benutzt werden könnten, darauf einen Vorwurf gegen die hannoversche Regierung zu gründen.
Allein sind es denn auch wirklich die ganzen und gesammten Berichte des Herrn Howard, auf welche nach dem Gesammtvortrage derselben die zweite hannoversche Cammer ihren Tadel gründet? Hat die zweite Cammer eine Commission niedergesetzt, um die Berichte, die für sie in keiner Weise eine offizielle Geltung haben, in ihrer Totalität zu prüfen, bevor sie zu einem Tadelsvotum schritt? Es ist nicht geschehen. Oder haben wenigstens die Berichte des englischen Gesandten in ihrer Gesammtheit und in der Sprache, in welcher sie abgefaßt sind, jedem Mitgliede zur Einsicht und Vergleichung offen gelegen? Es ist nicht geschehen. Oder haben wenigstens diejenigen Berichte, deren sich Herr Miquel zum Zwecke seiner Anklage bedient hat und die an Zahl etwa ein Zehntel des Ganzen ausmachen, voll und unverkürzt im Originale oder in beglaubigter Übersetzung vorgelegen? Auch das ist nicht geschehen.
Aber was denn endlich? Prüfen wir, was geschehen ist.
Der „Ausschuß zur Vertheidigung" u. s. w. hat nachher eine Broschüre herausgegeben, deren Grundlage die „Landtagsblätter bilden, die inzwischen, wo es nöthig, einer Correctur durch die Redner selbst unterzogen sind". Die Broschüre ist mithin, wenn man den Ausdruck gestatten will, als offizielle Kundgebung der Partei zu betrachten. Gemäß dieser Broschüre hat Herr Miquel zuerst eine geschichtliche Einleitung gegeben, die ihren Gipfelpunkt in den Worten erreicht: „Wir müssen erleben, daß auch nicht Ein Wort von deutschem Patriotismus, von deutschem Rechtsgefühle in den Unterredungen des Herrn Grafen sich finde". - - „Der hannoversche Minister, Herr Graf von Platen, trete gleichsam wie ein Schuldner auf, der zwar seine Schuld nicht leugne, aber befürchte, daß es bekannt werde, welche böse Schuld er contrahirt".
Auf diese Worte erfolgte, wie die Broschüre angibt, ein Bravo in der Cammer. Wofür? -
„Es sei nicht seine Absicht", fährt Herr Miquel fort, „die sämmtlichen Depeschen des englischen Gesandten mitzutheilen; doch wolle er in kurzer Übersicht den ganzen Inhalt berühren".
Es ist aus diesen Worten des Herrn Miquel nicht zu ersehen, ob ihm das Blaubuch selber vorgelegen, oder ob seine Kunde desselben sich auf dasjenige beschränkt, was die Zeitungen daraus gebracht haben.
Denn die Worte seiner Übersetzung z. B. der Berichte vom 31. Dezember 1863, 30. Januar 1864, 4. Februar u. s. w. stimmen buchstäblich mit denjenigen in der Zeitung für Norddeutschland, und noch dazu übernimmt nicht einmal dieses Blatt die erste Verantwortlichkeit für die Correctheit der Übersehung, sondern druckt die Berichte der Augsburger Allgemeinen Zeitung nach.
Demnach hätte Iemand über die zerstreuten, zahlreichen hannoverschen Briefe in einer Aktensammlung, die gedruckt 820 Seiten Folio hält, vor der zweiten Cammer des Landes Bericht erstattet, und zwar so, daß er nach seiner Meinung in kurzer Übersicht den ganzen Inhalt berührt, - alles dies gemäß der Lectüre einiger von anderswoher entlehnter Artikel der Zeitung für Norddeutschland. Ich will die Möglichkeit, daß Herr Miquel seine Kunde selbsteigen aus dem Blaubuche genommen, nicht verneinen. Es ist eben wegen jener buchstäblichen Übereinstimumng nur nicht wahrscheinlich. Indessen, wie dem auch sei, durch den Vortrag der Berichte, ohne eine andere Quellenangabe als das Blaubuch selbst, hat Herr Miquel die volle moralische Verantwortlichkeit für den Auszug sowohl wie für die Übersetzung auf sich genommen. Demgemäß wollen wir jest die Treue des Auszuges wie der Übersetzung prüfen an dem Originale.
„Er beginne", sagt Herr Miquel, „um den Geist, welcher durch die sämmtlichen Unterredungen gehe, zu characterisiren, mit einer Depesche vom 20. April 1863, also vor dem Tode des Königs von Dänemark. Sie beziehe sich auf einen Bericht des Herrn Howard an die englische Regierung über eine mit dem Grafen Platen stattgehabte Unterredung hinsichtlich der Execution gegen Dänemark. Es sinde sich da die Mittheilung, daß Graf Platen im Laufe des Gesprächs geäußert, er hoffe, daß der englische Gesandte Howard den Geist der Mäßigung anerkennen werde, welcher in dem hannoverschen Antrage liege, indem das Wort Execution vermieden sei; er bemerke ferner, daß andere Regierungen in den zu ergreifenden Maßregeln gegen Dänemark viel weiter gehen wollen, und daß er, Platen, dem besonders entgegen wirke".
Herr Miquel fügt hinzu: „Man sehe hieraus, wie der Graf Platen schon vor dem Tode des Königs von Dänemark gesinnt gewesen, und wie er seiner Mäßigung - im Patriotismus schon damals den Engländern gegenüber sich rühme".
So der Eingang der Rede des Herrn Miquel. Sehen wir, was an der Sache ist.
Zuerst und vor allen Dingen ist festzuhalten, daß zwischen den Worten, die Herr Miquel hier und zwar, wie wir gleich sehen werden, nicht getreu nach dem englischen Texte anführt, und den urtheilenden, die er selber spricht, ein volles inhaltsreiches Jahr verflossen ist, und daß die Situation inzwischen sich geändert hat einestheils durch den fast unglaublichen Trok und Hochmuth der Dänen, andererseits nicht durch Reden und Toaste von deutscher Seite, sondern durch die Erfolge der östreichischen und preußischen Waffen. Daß es so kommen würde, dachte im April 1863 wohl niemand. Man versetze sich also zuerst in jene Zeit zurück, wo man, nachdem Jahrelang die Sache der Herzogthümer beim Bunde unter allen deutschen Staaten am nachdrücklichsten von Hannover vertreten war, erst anfing von einer Execution zu reden, und dann urtheile man nicht über die Worte, wie sie oben stehen, sondern wie sie jetzt folgen, und zwar stets mit dem Nebengedanken, daß es Worte eines für sich persönlich dänisch gesinnten Engländers sind, der für seine Berichte Niemandem verantwortlich ist, als seiner eigenen ebenfalls dänisch gesinnten Regierung.
„20. März 1863. H. Howard an Lord Russell. Der Graf Platen bezweifelt, daß irgend etwas anderes als die ernstliche Androhung einer Execution Dänemark zur Vernunft bringen werde".
11. April 1863. „Der Graf Platen sagt, daß er sich seine Meinung über das Patent des Königs von Dänemark vom 30. März vorbehalten müsse. Wenn aber die Aussonderung von Holstein nur das Vorspiel sein sollte zur Incorporation von Schleswig in Dänemark, so sei er der Meinung, daß, weil Dänemark dadurch die Stipulationen seiner Verpflichtungen von 1851 und 1852 verlege, der deutsche Bund berechtigt sei, die Herstellung der Herzogthümer in den Stand vor dem Kriege des Jahres 1848 zu fordern. Eine derartige Aussonderung Holsteins werde für Dänemark ein höchst unpolitischer Schritt sein, weil derselbe früher oder später zum Verluste des Herzogthums führen werde".
In der Bundestagssitzung vom 16. April 1863 behieltsich der hannoversche Gesandte einen besondern Antrag vor. In Folge dessen begiebt sich Herr Howard zu dem Grafen Platen und fragt, was dieser Antrag enthalten würde. „Der Graf Platen erwiederte, er habe denselben noch nicht formulirt; jedoch würde es vollkommen gerechtfertigt sein, wenn der Bundestag beschließe, den König von Dänemark mit Androhung der Execution aufzufordern, innerhalb einer bestimmten Frist sein Patent vom 30. März zurückzuziehen, weil dasselbe im Widerspruche stehe mit den Abmachungen von 1851/2".
Dann erst, nachdem dies vorangegangen, formulirt der Graf Platen seinen Antrag. In dem Schreiben, mit welchem Herr Howard dasselbe an Lord Russell übersendet, fügt er die Worte hinzu, die Herr Miquel aus dieser Verhandlung oben angeführt, um, wie er sagt, den Geist, der durch sämmtliche Unterredungen gehe, zu characterisiren. Es ist jedoch dabei der Unterschied, daß die oben zur Hervorhebung meinerseits gesperrt gedruckten Worte des Herrn Miquel: und daß er, Platen, dem besonders entgegen wirke, sich in dem Berichte des Herrn Howard nicht finden. Der Bericht sagt vielmehr „einige andere deutsche Regierungen seien geneigt viel weiter zu gehen, nämlich die Herstellung des Zustandes quo ante (d. h. vor 1848) zu fordern u. s. f.; aber er sei einem solchen Verfahren abgeneigt wegen der Verwickelungen, die es nach sich ziehen würde (but that he was averse to such a course on account of the complications it would entail.)
Der Zweck des Grafen Platen dabei ist nach meiner Ansicht leicht zu erkennen. Er will auf England einwirken, daß es in Dänemark zur Mäßigung und zur Vernunft rathe. Ich habe an dem ersten Beispiele nachgewiesen, wie Herr Miquel die Berichte des englischen Gesandten behandelt. Erstlich nämlich wählt er diejenigen aus, in welchen nach seiner Meinung ein Vorwurf gegen den Grafen Platen gefunden werden könnte. Die anderen berücksichtigt er nicht. Zweitens: wenn etwa der Wortlaut der Berichte des englischen Gesandten, für die, ich wiederhole es, der Graf Platen nicht verantwortlich ist, zu einer Anklage im Sinne des Herrn Miquel nicht ganz ausreicht: so wird von diesem Herrn durch eine kleine Veränderung das gewünschte Resultat hervorgebracht.
Ich frage den Leser, wie er eine solche Veränderung benennen würde, wenn diese Veränderung augenscheinlich den Zweck einer Anklage hätte gegen ihn selbst.
Die Auffassung der Politik des Grafen Platen vom englischen Standpunkte aus spiegelt sich klarer in dem Berichte des Herrn George Petre vom 12. Mai 1863. Er lautet: „Obwohl der Graf Platen das Benehmen Dänemarks als unentschuldbar ansieht, und der Meinung ist, daß Dänemark verantwortlich ist für jegliche Verwickelung, die daraus erfolgen möchte; so ist er doch im Interesse der Herzogthümer selbst entschieden dagegen, daß der deutsche Bund die Feststellungen von 1851 und 1852 aufgebe. Diese Feststellungen sind von Dänemark verletztt, sagt Se. Excellenz; allein er ist überzeugt, daß das Bestehen auf denselben für Deutschland eine mehr sichere und vortheilhafte Basis der Operation biete, als der status quo ante" d. h. die Zustände vor 1848.
Auf diesen Bericht, den Herr Miquel nicht erwähnt, bezieht sich die zweite abgerissene Stelle, die derselbe aus dem Blaubuche vorträgt, nämlich der Auszug aus dem Berichte vom 16. Mai. Der ganze Bericht lautet: „Ich habe dem Grafen Platen die Befriedigung I. M. Regierung ausgedrückt über die gemäßigten Ansichten von Hannover in der schleswig-holsteinschen Frage, und ich sagte Se. Excellenz zugleich, daß die Großbritannische Regierung sich nicht beruhigen würde (would not acquiesce in) bei dem Oldenburgischen Vorschlage, da derselbe eine Verlegung der Verträge nach sich ziehen würde, bei denen Großbritannien betheiligt sei". Es folgen dann die Worte, die Herr Miquel anführt: „Graf Platen erwiederte, daß ihm Ew. Herrlichkeit Würdigung (appreciation) seiner Politik um so mehr Befriedigung gewähre, als durch deren Mäßigung die Popularität der hannoverschen Regierung in Deutschland keineswegs vermehrt werde. Aber dieses letztere Resultat habe er vorausgesehen, und dasselbe als das kleinere Übel betrachtet im Vergleiche zu dem Vorschlage, die Basis von 1851 und 1852 aufzugeben".
„Er füge dem nichts hinzu", sagt Herr Miquel.
Wir Andere aber möchten doch etwas hinzufügen, nämlich Erstens daran erinnern, daß hier die Rede ist vom 16. Mai 1863 d. h. von der Zeit vor der eigentlichen Verwickelung. Ferner möchten wir hervorheben, daß es besser und ehrenwerther für den Staatsmann ist, streng nach seiner eigenen Überzeugung für das Wohl seines Vaterlandes zu handeln, als sich zu beugen vor dem wandelbaren Hauche des unbestimmten Etwas, das man Popularität nennt. Drittens möchten wir hinzufügen, daß schon aus diesem Berichte, wie noch mehr aus den übrigen hervorgeht, daß die Politik des Grafen Platen darauf berechnet war, alles zu vermeiden, was die dänenfreundliche Gesinnung Englands zur offenen Feindschaft gegen Deutschland hätte reizen können. England hat nicht, wie Dänemark hoffte und worauf es in seinem ganzen Verhalten von Anfang an speculirte, die Waffen für Dänemark ergriffen. Allein man nimmt die Sache zu leicht, wenn man nachher behauptet, daß England das niemals gethan haben würde. Vielmehr beweist der ganze Inhalt des Blaubuches, daß England immerfort geschwankt hat. Und namentlich beweisen die Berichte des Herrn Howard, daß wir dies Unterbleiben der thätigen Einmischung Englands nicht ihm verdanken. Ich werde darauf zurückkommen.
Nach welchem Systeme Herr Miquel aus der großen Zahl der Berichte des englischen Gesandten gerade diese ausgewählt hat, die er gibt, und wiederum aus den Berichten gerade die Sätze, dürfte nach den gegebenen Beispielen schon klar sein. Allein es kommen dazu noch andere Mittel.
Man wird bemerken, daß alles, was in den Auszügen, die Herr Miquel gibt, nach seiner Meinung einen Vorwurf gegen den Grafen Platen hervorrufen könnte, gesperrt gedruckt ist. In den Berichten des englischen Gesandten findet ein solches Hervorheben nicht statt.
Einmal sogar auf S. 10 sind in dem gesperrt Gedruckten einige Worte noch wieder mit fetter Schrift hervorgehoben. Der Graf Platen ist nämlich am 4. Juli 1863, man beachte das Datum, nach der Auffassung des englischen Gesandten der Meinung, daß eine Bundes-Execution ausgeführt werden könne von einem Bundes-Commissair, nur von einer Escorte begleitet. Diese Worte könnten, wie Herr Miquel richtig berechnet, jetzt, nachdem wir den Trotz und Übermuth der Dänen in vorher nicht geahnter Weise kennen gelernt haben, auffallend erscheinen. Aber man muß doch auch erst wissen, was unter dieser Escorte verstanden wurde. Herr Miquel hätte, wenn er wollte, dies aus dem folgenden Berichte vom 25. Juli 1863 kennen lernen können. Dort heißt es: „der Graf Platen bezog sich in starken Ausdrücken der Verdammung auf das Benehmen des dänischen Commissars auf dem schleswigischen Landtage. Se. Excellenz bemerkte, er glaube kaum, daß es die Absicht der dänischen Regierung sein könne, einer Bundes-Execution an den Ufern der Elbe zu widerstehen. Geschehe es, so würde der einzige Unterschied der sein, daß der deutsche Bund anstatt eines Commissärs mit einer Brigade als Escorte, 60,000 Mann zu schicken haben würde".
„Ich ermangelte nicht, Sr. Excellenz die ernsten Verwickelungen und Folgen vorzustellen, welche ein solches Verfahren von Seiten Deutschlands bei dem gegenwärtigen Zustande der Dinge in Europa nach sich ziehen könnte. Allein er entgegnete, daß das deutsche Volk entschlossen sei sich nicht länger mitspielen zu laſſen (that the german people were determined to be no longer trifled with), und daß der deutsche Bund in der Nothwendigkeit sein würde zu handeln ohne Rücksicht auf die Folgen, wenn der König von Dänemark nicht nachgäbe".
Es ist im Interesse der Wahrheit zu beklagen, daß Herr Miquel es nicht für zweckmäßig gefunden hat, von solchen Äußerungen und vielen anderen der Art Notiz zu nehmen.
Von da an berichtet der englische Gesandte unablässig über die Thätigkeit, die er im Abrathen entwickele. Einen dieser Berichte, vom 25. September, hat auch Herr Miquel. Ich werde den zweiten Absatz, auf den es ankommt, hierher setzen, und bitte, ihn mit den Worten des Herrn Miquel auf S. 10 der vorgenannten Broschüre zu vergleichen. Er lautet: „Ich habe wieder und immer wieder den Grafen Platen auf die ernsten Folgen aufmerksam gemacht, welche für den europäischen Frieden aus der beabsichtigten bewaffneten Execution in Holstein entstehen können. Aber während Se. Excellenz behaupten zu glauben, daß der eine oder andere Zwischenfall eintreten könne, welcher der wirklichen Ausführung zuvorkäme, haben sie immer erklärt, daß Deutschland zu weit vorgegangen sei, um zurückweichen zu können, indem sie hinzufügen, daß (that it is at Copenhagen, that the influence of H. M. government should be employed) Kopenhagen der Ort ist, wo der Einfluß der Regierung I. Gr. Br. M. angewendet werden sollte, um einen Conflict zu verhüten."
Der Gegensas scheint hier aus den Worten des englischen Gesandten zur Genüge durchzuschimmern. Der Gedanke ist offenbar dieser: Was predigt Ihr Engländer uns Deutschen Mäßigung? Kopenhagen ist der Ort, wo Ihr das thun solltet, und wenn Ihr es da thätet, so unterbliebe die Execution und für den Frieden Europas wäre keine Gefahr.
Ich habe hier den Gedanken eines deutschen Staatsmannes herauszuschälen gesucht aus seinem englischen Gewande. Die Vergleichung der Übersetzung des Herrn Miquel ergibt, daß dieser Gedanke, welcher offenbar die Hauptsache ist, dort weniger klar hervortritt als in dem englischen Texte. Freilich, der Absicht des Herrn Miquel diente dieser Gedanke nicht.
Ja ich glaube sogar annehmen zu dürfen, daß in den Unterredungen der beiden Staatsmänner dieser Gedanke viel schärfer ausgeprägt gewesen sei, als dieser Bericht es zeigt. Denn in dem Berichte z. B. des Herrn Howard vom 13. November 1863 (Bluebook N. 231) tritt diese Mahnung des Grafen Platen an England sehr entschieden auf. Gerade dies aber wollte England nicht. Denn der Lord Russell schreibt ausdrücklich noch am 17. November 1863 nach Kopenhagen an Herrn Paget, daß er ihn nicht beauftragen könne, den König von Dänemark zum Einschlagen einer Richtung zu drängen, die den Unterthanen desselben sehr unlieb sein würde. Eben wegen dieser englischen Politik, und ferner wegen der persönlich dänenfreundlichen Gesinnung des Herrn Howard, die in jedem seiner Berichte zu Tage tritt, war jene Mahnung ihm sicherlich nicht lieb. Deshalb berichtet er sie zwar der Wahrheit gemäß, aber ohne besonderen Nachdruck. Mithin erscheint der Gedanke des Grafen Platen hier zweimal abgeschwächt. Zuerst schwächt ihn der englische Gesandte durch seinen Bericht, dann schwächt Herr Miquel noch viel mehr - diesen Bericht durch seine Art der Übersetzung. Beide haben ihre Gründe dazu.
Ich wähle, um dies Verhältnis der Berichte des Herrn Howard klarer hervorzuheben, ein ähnliches Beispiel. Bei Gelegenheit der sogenannten Landesversammlung am 10. Januar 1864 berichtet Herr Howard am 9. Januar, daß die Regierung sich gesetzlich nicht für berechtigt erachte, diese Versammlung zu untersagen. (Bluebook N. 666.) Daß Herr Howard vorher bei dem Grafen Platen darüber angefragt, ergibt sich aus seinen eigenen Worten (Count Platen tells me that etc., and that they considered themselves legally unable to forbid it.) Ist es anzunehmen, daß diese offenbare Einmischung in die inneren Regierungsangelegenheiten von Hannover nicht eine schärfere Antwort nach sich gezogen habe, als nur die Verneinung der gestellten Frage? Es ist vielmehr den Umständen nach höchst wahrscheinlich, daß hier einer derjenigen Fälle vorliegt, in welchen, wie die Erklärung des Grafen Platen vom 10. Mai in der ersten Cammer sagt: die versuchte Einwirkung auf die innere Landesverwaltung energisch zurückgewiesen ist. Allein in dem Berichte des Herrn Howard findet sich nur das für ihn und für England Wesentliche; das für ihn Unwesentliche, nämlich die Form, in welcher die Antwort ihm gegeben wurde, bleibt der Vermuthung überlassen.*)
*) Diese Vermuthung hat seitdem eine bestimmte Gestalt gewonnen. Nach einem bis jetzt nicht widerlegten Artikel der Kreuzzeitung hat der Graf Platen auf das Ansinnen des Herrn Howard, jene Landesversammlung zu untersagen, kurz und bündig geantwortet: „Hannover sei nicht ein Vasallenstaat von England." Man vergleiche diese Worte mit denen des Berichtes an die englische Regierung: „Die hannoversche Regierung hält sich gesetzlich nicht berechtigt, die Versammlung zu verbieten." Und dann beantworte man sich die Frage, ob diese
Berichte ein dem Hannoveraner genügendes Bild gewähren können.
Nachdem ich gezeigt habe, wie Herr Miquel einige Berichte des englischen Gesandten behandelt, sind aus den folgenden nur die Sätze hervorzuheben, die Herr Miquel als Stützen seiner Anklage gesperrt drucken läßt. Es handelt sich zunächst um den Bericht vom 18. November, nach dem Tode des Königs von Dänemark.
Herr Howard schreibt an Lord Russell: „Ew. Herrlichkeit wissen, daß die hannoversche Regierung dem Londoner Vertrage vom 8. Mai 1852, der die Erbfolge in der ganzen dänischen Monarchie regelte, durch eine Acte vom 18. Dezember desselben Jahres beigetreten ist. Graf Platen versicherte mir, die hannoversche Regierung würde nicht verfehlen, die Verpflichtungen zu beobachten, welche sie durch diesen Act auf sich genommen."
Daß diese Worte dem Herrn Miquel Gelegenheit zum Ausdrucke seiner Meinungen gegeben, bedarf nicht der Erwähnung. Man wolle seine Äußerungen S. 13 nachlesen, mir dagegen verstatten, die Thatsache zu beleuchten.
Der Graf Platen hat bei seinem Eintritte ins Ministerium den Londoner Vertrag vorgefunden, den im Jahre 1852 die Großmächte von Europa als das geeignete Mittel angesehen haben, die dänische Angelegenheit einmal für immer zu regeln. Ob jene Mächte weise daran gehandelt, das zu untersuchen, ist nicht unsere Sache, um so weniger jetzt, wo nicht etwa Reden und Volksversammlungen, sondern einerseits der beispiellose Trotz und Hochmuth der Dänen, andererseits die Waffen Östreichs und Preußens bei Oeversee und Düppel den Vertrag zerrissen haben. Allein beim Tode Friedrichs VII. war derselbe da. Eine sofortige offene Lossagung Hannovers von demselben wäre weder ehrlich noch klug gewesen.
Zuerst nicht ehrlich. Denn wie Jedermann weiß, daß es im bürgerlichen Leben nicht gestattet ist, nach einseitigem Belieben von einem Contracte zurückzutreten: so sollte man anerkennen, daß auch im großen Völkerleben Verträge das einzige Mittel sind, einen Rechtszustand zu schaffen, und daß, wenn einmal ein Vertrag eingegangen ist, ein einseitiges Lossagen davon moralisch nicht gerechtfertigt werden kann. Es ist leider ein vielverbreiteter Irrthum unserer Zeit, daß im großen politischen Leben nur das Recht der Macht oder des Erfolges gilt, und nicht dasjenige des Vertrages. Der Londoner Vertrag an sich enthielt keine Bedingung, welche das sofortige Zurücktreten Hannovers von demselben beim Tode Friedrichs VII. hätte rechtfertigen können. Die einzige Bedingung, welche die hannoversche Regierung stellen konnte, war die Aufrechthaltung des Artikels III. Und diese Bedingung hat der Graf Platen laut des Berichtes des englischen Gesandten vom 23. November sofort zur Sprache gebracht.
Eben so wenig wäre die sofortige Lossagung klug gewesen. Denn ob Hannover von dem Vertrage zurücktrat oder nicht, so blieb er darum, wenn die Großmächte, speziell wenn Oestreich und Preußen ihn halten wollten, nicht minder fest bestehen. Wenn aber Hannover sofort zurücktrat, so hätte es sich dadurch in übereilter Weise seines Rechtes begeben als Mitcontrahent des Vertrages, die Abänderung desselben im deutschen Interesse zu verlangen und dabei mitzuwirken. Es hätte sich ferner, weil fruchtlos, eben darum auch zweck- und ziellos dem Zorne Englands ausgesetzt; denn die verblendete, ja ich möchte sagen, lächerlich unsinnige Parteinahme Englands für Dänemark lag und liegt ja so offen zu Tage, daß die englische Regierung zu einem sehr großen Theile für den Trotz Dänemarks und die bittere Strafe desselben verantwortlich erscheint. Wir beklagen diese traurige Verblendung aufs höchste; aber die Meinung des Herrn Miquel, daß England der Erbfeind Deutschlands sei, ist durch diese einmalige politische Constellation nicht gerechtfertigt. Im Gegentheil erinnern uns die militärisch ruhmvollsten Tage unserer hannoerschen Geschichte, die Zeit des spanischen Erbfolgekrieges unter Eugen und Marlborough, die Zeit des siebenjährigen Krieges, der französischen Revolutionskriege bis zu der Schlacht von Waterloo an die Gemeinsamkeit mit England. Ja es ist sogar sehr fraglich, ob Deutschland im Jahre 1813 und ferner mit aller seiner Begeisterung, die ich wahrlich nicht gering schätze, die gewaltige Macht Napoleons hätte abschütteln können, wenn nicht England mit uns gewesen wäre. Darum ist es Unrecht bei allem gerechten Unwillen, der uns gegen die jezige englische Politik erfüllt, England unseren Erbfeind nennen zu wollen. Ja es können die Zeiten wiederkehren und vielleicht sehr bald wiederkehren, wo die Verhältnisse uns beide zwingen, uns Deutsche und die Engländer, wieder zusammen zu stehen gegen einen anderen gemeinsamen Feind. Für jetzt gewiß ist es recht, das Verhalten Englands maß- und vernunftlos zu benennen. Aber war es die Aufgabe Hannovers, diese thörichte Parteinahme Englands noch zu reizen, zu einer Zeit zu reizen, wo der englische Gesandte in Hannover nicht einmal, sondern wiederholt und oft seiner Regierung energische Maßregeln gegen Deutschland (vigorous measures) anräth? - Ich werde dies nachher darthun.
Würtemberg und Sachsen konnten immerhin diesen Gesichtspunkt der Klugheit unbeachtet lassen, und erklären, daß sie vom Londoner Vertrage zurückträten; denn der Neckar und die Elbe bei Dresden sind vor englischen Fregatten sicher. Die Popularität des Herrn v. Hügel dafür war eben so wohlfeil erworben, wie sie für die Sache selber bedeutungslos war. Hannover aber konnte nur mit Oestreich und Preußen gehen. So lange diese Mächte nicht offen erklärten, daß sie den Londoner Vertrag nicht mehr anerkennen würden, mußte Hannover darüber schweigen.
Aber man erwiedert mir, daß der Graf Platen wiederholt erkläre: er halte sich an den Londoner Vertrag gebunden.
Ich möchte lieber die Gegenfrage stellen, was er anders hätte thun sollen. Denn man muß hier das persönliche Verhalten des Herrn Howard selbst mit in Anschlag bringen, wie es in seinen eigenen Berichten vorliegt. Der Herr Gesandte beweist sich darin als erfüllt von einer Werthschätzung des Londoner Protokolles, die höher nicht gedacht werden kann. Er lobt dasselbe unaufhörlich; er stellt sich immer wieder aufs neue die Frage, ob man wohl daran halten würde. Er geht sogar so weit einem deutschen Souverän gegenüber es zu beklagen, daß derselbe dem Protokolle nicht beigetreten sei. Am 1. Dezember 1863 nämlich ist Herr Howard in Braunschweig. Er meldet darüber dem Lord Russell (Bluebook N. 351): „Es ist zu beklagen, daß man nicht den Beitritt Braunschweigs zum Vertrage von 1852 bewirkt hat. Ich drückte dem Herzoge darüber mein Bedauern aus, und fügte hinzu, ich sei sicher, daß er, wenn er beigetreten wäre, sein Wort gehalten und dabei beharrt hätte. Se. Hoheit erwiederten mir, daß er das gewis gethan haben würde; aber nun, da er in keiner Weise gebunden sei, folge er derjenigen Richtung, die ihm von seinem Ministerium bezeichnet sei als übereinstimmend mit den Gefühlen des Landes".
In derselben Richtung schreibt Herr Howard am 28. Novbr. seine Ansichten über Deutschland in einer Weise nieder, welche dieselbe Grundstimmung der Seele bezeugt, wie bei den Lesern der Times. „Das Schleswig-Holstein-Fieber," sagt er in den Betrachtungen, die er seiner Regierung einschickt, „ist auf seiner Höhe, und möchte vielleicht nicht gedämpft werden können, bis die Calamitäten des Krieges, den es zu entzünden strebt, die öffentliche Meinung nieder genüchtert haben werden (shall have sobered down)." „Kein Prätendent," fährt er fort, „hat jemals mit so vielem Erfolge Anerkennungen erhalten, als der Herzog von Augustenburg; denn seine Ansprüche sind ohne die geringste Prüfung von deutschen Regierungen, conservativen und demokratischen Vereinen anerkannt. Das Motiv, welches diese verschiedenen Elemente zu gemeinsamem Handeln verband, ist unter dem Vorwand des Schutzes einer unterdrückten Nationalität, einen nachbarlichen Souverän, welcher der beste Verbündete von Deutschland sein sollte, eines großen Theiles seiner Besitzungen zu berauben, mit Einschluß eines Herzogthumes, welches niemals zu Deutschland gehört hat" &Cc.
Bei solchen Worten des Herrn Howard drängt sich die Frage auf, ob dieser Bericht auch nur ein annähernd richtiger genannt werden könne. Von allen den zahlreichen Schriften, die von einer langen Reihe eminenter deutscher Staatsrechtslehrer für das Recht des Herzogs Friedrich von Augustenburg herausgegeben sind, hat dieser Herr keine Kunde. Er sagt kurzweg, daß die Deutschen „ohne die geringste Prüfung" das Recht des Herzogs von Augustenburg als begründet ansehen. Wir unsererseits möchten geneigt sein, diese Worte: „ohne die geringste Prüfung" dem fremden Herrn in vollem Maße zurückzugeben.
Steht aber die Sache so, daß in diesem Falle kein Freund der Sache des Herzogs Friedrich den Bericht des englischen Gesandten als objectiv erkennen kann, sondern vielmehr ihn als einen Ausfluß einer sehr befangenen englisch-dänischen Parteigesinnung ansehen wird: so richte ich an diese Freunde der Sache des Herzogs Friedrich die Frage, ob sie eine Unbefangenheit des Blickes, welche sie da verneinen, wo von ihnen selbst die Rede ist, in derselben Angelegenheit dort, wo von Anderen die Rede ist, voraussehen wollen? Wer das nicht will, der trage Bedenken über Äußerungen zu urtheilen, die ihm vorgelegt werden, nachdem sie erst einen zweimaligen Prozeß nicht der Läuterung, sondern der Trübung durch zwei in entgegengesetzter Weise befangene Anschauungen durchgemacht haben. Ich lasse den guten Willen des Herrn Miquel dabei völlig unerörtert.
Aber ich habe den Bericht des Herrn Howard unterbrochen. Hören wir ihn weiter.
„Es ist kaum zu glauben," fährt Herr Howard fort, „daß man dieses Ziel so offen anerkennen, oder so nachdrücklich zu erreichen suchen würde, wenn nicht allgemein in Deutschland die Meinung vorwaltete, daß Dänemark am letzten Ende von den nichtdeutschen Großmächten, welche den Londoner Vertrag von 1852 unterzeichnet haben, keinen anderen als moralischen Beistand zu erwarten hat."
„Die gefährliche Agitation, welche entstanden ist, würde nach meiner geringen Meinung (in my humble opinion) sicherlich gehemmt worden sein, wenn das Verfahren der deutschen Mächte, welche diesen Vertrag unterzeichnet haben oder nachher demselben beigetreten sind, kühner und gerader gewesen wäre" u. s. w.
Noch stärker hat Herr Howard sich bereits am 20. Nov. 1863 (Bl. N. 272) zu seiner Regierung ausgesprochen:„Werden also," berichtet er nach einer Unterredung mit dem Grafen Platen, „die nichtdeutschen Mächte, welche den Vertrag unterzeichnet haben, nicht geneigt sein, zeitige und energische Maßregeln zu ergreifen, um die Stipulationen desselben im Interesse der Integrität der dänischen Monarchie aufrecht zu halten: so müssen wir uns darauf gefaßt machen, einen deutschen Kreuzzug gegen Dänemark zu erleben, in der Absicht, die Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg von Dänemark abzureißen."
Die Anschauung, die in diesen Worten sich ausspricht, und die namentlich vom November 1863 an alle Berichte
des Herrn Howard durchsättigt, genügt zu dem vorher angedeuteten Urtheile, daß wir die Nichtbetheiligung Englands an dem Kriege nicht dem Herrn Howard zu verdanken haben, daß er vielmehr die Betheiligung Englands an dem Kriege unablässig in Aussicht gestellt haben wird. Der erste Schlag eines solchen Vorgehens von Seiten Englands wäre auf die Schiffahrt und den Handel von Hannover gefallen. Die Anschauung des Herrn Howard thut ferner dar, daß er als Quelle der betreffenden Leiden die nicht genügende Beachtung des Londoner Protokolles oder Vertrages ansieht, und demgemäß als einziges Heilmittel nur die rückhaltlose Durchführung desselben empfiehlt. Eben dadurch bestimmt sich sein Verhalten, nämlich das immer erneute Anfragen und Anklopfen, ob man denselben halten werde.
Er erhält dann allerdings eine bejahende Antwort, nicht freilich in dem Sinne, wie Herr Miquel sie sich denkt. Denn diesem Herrn genügen die concedirenden Antworten des Grafen Platen in der Fassung des Herrn Howard nicht. Wo dieser berichtet, „der Graf Platen erinnerte in seiner Erwiederung daran, daß er immer die Ansicht festgehalten habe, Hannover sei durch den Vertrag gebunden" (N. 482), sagt Herr Miquel (S. 18): „Graf Platen erinnert, daß er immer Hannovers Verpflichtung u. s. w. betont habe" u. s. w. Man sieht, der Gedanke erhält dadurch eine etwas andere Schattirung, die sich dem Herrn Miquel für den beabsichtigten Zweck besser empfiehlt.
Indessen sei dem, wie ihm sei: so ist andererseits gewis, daß den Grafen Platen für seine eingestehende Bejahung dieser endlos wiederholten Frage nicht der leiseste Vorwurf treffen kann, zumal da dieses Zugeständnis einerseits für den Vertrag selbst praktisch ohne Erfolg war, andererseits doch auch sofort von Anfang an, nämlich am 20. Novbr., deutlich zu erkennen war, wie der Graf Platen es damit meine. Herr Howard nämlich selbst berichtet (Bl. N. 272), der Graf Platen habe erwiedert, Hannover werde mit Östreich und Preußen gehen als Mit-Contrahenten des Vertrages von 1852. Es ist dies eben der lange Bericht, welchen Herr Howard mit der elegischen Ahnung eines allgemein deutschen Kreuzzuges gegen Dänemark beschließt.
Und hiernach ist nun vor allen Dingen die Angelegenheit zu beurtheilen, die dem Herrn Miquel und seinen Freunden so großen Kummer bereitet hat. Es ist nämlich der Bericht des Herrn Howard vom 23. Novbr. Herr Miquel charakterisirt denselben so, daß der „englische Gesandte dem Grafen Platen Vorhalte mache, deren man sich in dessen Seele schämen müsse. Er fordere den Minister hier geradezu auf, dem Volke gegenüber ehrlich zu sein" u. s. w.
Es bedarf wohl nicht erst der Angabe, daß nicht der englische Gesandte solche Worte gebraucht, sondern nur Herr Miquel. Allein prüfen wir die Thatsache.
Der Gesandte fragt, ob es nicht gerathen und passend wäre, „um wohlmeinende Personen von der Agitation abwendig zu machen," in den Antworten auf die Adresse der Verpflichtungen zu erwähnen, welche Hannover durch den Beitritt zum Londoner Vertrage auf sich genommen.
Sollte wirklich allein die wohlwollende Besorgnis um den inneren Frieden Hannovers dem fremden Herrn Gesandten diese Aufforderung eingegeben haben? Nach der Werthschätzung, die er selber auf diesen Vertrag legt, nach der Richtschnur ferner, die er selber früher für das politische Verhalten aller Unterzeichner des Vertrages von 1852, namentlich der deutschen Mächte, aufgestellt hat, möchte ich der Meinung sein, daß sein Vorschlag mehr im englisch-dänischen Interesse, als im hannoverschen gethan sei. Es kann ein Versuch gewesen sein, das etwa zurückweichende Hannover durch eine neue öffentliche Erklärung um so fester an das Londoner Protokoll zu binden.
Wenn indessen dies die Absicht gewesen ist, so ist sie fehl geschlagen. Wenn die Ruhe Hannovers der wohlgemeinte Zweck des fremden Gesandten war: so dürfte anzuerkennen sein, daß die hannoversche Regierung selbst diese Ruhe sicherer gewahrt hat. Der Graf Platen erwiederte laut dem Berichte des Herrn Howard: es sei äußerst wünschenswerth zu verhindern, daß die gegenwärtige Aufregung sich in eine revolutionäre Bewegung verwandele, und er glaube, daß eine solche Bezugnahme, wie die von Herrn Howard vorgeschlagene, diese Folgen nach sich ziehen könne. Herr Howard hat, wie er meldet, nichts desto minder bei seiner Meinung beharrt. „Denn ich bin überzeugt," sagt er, „daß mehr Unheil daraus entstehen wird, wenn man den wirklichen Stand der Dinge verheimlicht, als wenn man das Publikum über diesen Gegenstand aufklärt."
Die lezten Worte enthalten offenbar nur die subjective Meinung des Herrn Howard; denn es ist nicht wahrscheinlich, daß er den Ausdruck: verheimlichen (to conceal) der hannoverschen Regierung gegenüber gebraucht haben würde, ohne die Erwiederung zu erhalten, daß dieser Ausdruck ein nicht gerechtfertigter sei. Denjenigen, in deren Gesichtskreise das Londoner Protokoll lag, war der Beitritt Hannovers vom Dezember 1852 zu demselben nicht unbekannt. Für die Anderen, über deren Gesichtskreis das Londoner Protokoll hinaus liegt, nützte diese Kenntnis nichts. Darum wäre eine Bezugnahme darauf in der Antwort der Regierung, wie der
englische Gesandte sie wünschte, überflüssig und eben deshalb schädlich, und lediglich und allein im englisch-dänischen Interesse nützlich gewesen. Die Ehrlichkeit, welche Herr Miquel fordert, scheint uns weniger in seiner Ausdeutung dieser Dinge, als vielmehr in dem Verhalten der hannoverschen Regierung sich zu beweisen. Eben deshalb dürfte die Pflicht des Schämens, die sich Herr Miquel hier auferlegt, soweit dieselbe den Grafen Platen betrifft, eine überflüssige sein. Wenn die Pflicht da ist - und es scheint uns allerdings, daß sie da ist, - so kann Herr Miquel die Erfüllung derselben näher haben.
Es ist nicht ohne Interesse zu bemerken, daß dem Herrn Howard dieses sein Bemühen an demselben Tage fehl schlägt, von welchem Herr Miquel uns klagt, daß Hannover das Londoner Protokoll habe festhalten wollen. Es würde ohne Zweifel dem Herrn Howard zur großen Freude gereicht haben, wenn er seine eigenen Worte eben so hätte auslegen können, wie Herr Miquel sie auslegt. Allein die Sache liegt umgekehrt. Während Herr Miquel Kummer darüber hat, daß Hannover bei dem Londoner Vertrage bleiben will, hat Herr Howard, aus dessen Berichten Herr Miquel seinen Kummer schöpft, seinerseits Kummer darüber, daß dies nicht sicher sei.
Er berichtet dann einige Tage später am 26. November (Bluebook N. 302) seinen Schmerz darüber, daß auch der König zu der Deputation nichts vom Londoner Vertrage gesagt habe.
Diese Kundgebungen mehren sich bald. Am 14. Dezember 1863 (Bluebook N. 441) begibt sich Herr Howard zu
dem Grafen Platen, legt eine Depesche des Lord Russell vor in Betreff der Anerkennung des Londoner Protokolles, und spricht die Hoffnung aus, der König von Hannover werde nicht länger zaudern den Brief zu beantworten, in welchem der König Christian IX. von Dänemark seine Thronbesteigung ankündigt. „Der Graf Platen", sagt er, „ließ in seiner Erwiederung nicht irgend eine Aussicht auf die baldige Verwirklichung der von mir ausgesprochenen Hoffnung durchblicken" (did not hold out any prospect of the early realization of the hope).
Überhaupt werden die Hoffnungen des Herrn Howard trüber. Am 25. Dezember macht er es sich klar, ob wohl
Hannover wünsche vom Londoner Vertrage loszukommen. (Bluebook N. 535). Dieser Zeitpunkt werde eintreten, meint er, wenn Östreich und Preußen sich offsen davon lossagen, oder wenn der Bund entschiede zu Gunsten des Herzogs von Augustenburg. Denn daß in Hannover Bundesrecht über allen anderen Verträgen stehe, darüber hat der Graf Platen Herrn Howard niemals in Zweifel gelassen.
Indessen er hofft, daß der Graf Platen wenigstens günstiger über den Vertrag denke als die anderen Minister. Auch diese Hoffnung wird bereits am 6. Dezember 1863 (Bluebook N. 385) erschüttert. Entschiedener aber am 3. Januar. Auf den Vorschlag einer Conferenz durch Lord Russell erwidert der Graf Platen, daß die Gegenstände derselben vorher zu specisiciren seien, und zwar zunächst die Revision des Londoner Vertrages (Bl. N. 612). Was bedeutet das weitschichtige Wort Revision? Das Wort berührt den Herrn Howard höchst unangenehm. Er protestirt und berichtet sofort darüber an Lord Russell. Aber er wird den Gedanken daran nicht los, und berichtet zwei Tage später noch einmal (N. 628) seine Meinung dagegen fast mit denselben Worten.
Das Wort: Revision war einmal ausgesprochen, und Herr Howard selber wird sich wohl kein Hehl daraus gemacht haben, daß wo er fortan von dem unversehrten Vertrage redete, der Graf Platen an einen revidirten dachte. Oder mit anderen Worten: der Graf Platen hatte in höflicher Weise, aber deutlich genug es ausgesprochen, daß der Londoner Vertrag nicht haltbar sei. Um so mehr steigt der Eifer des Herrn Howard für den Vertrag.
Der Lord John Russell weist die englischen Gesandten an nicht zu leiden, daß in offiziellen Unterredungen die Bezeichnungen: Londoner Protokoll, und Protokoll-Prinz gebraucht werden. Herr Howard erwidert am 12. Januar 1864 (Bl. N. 597): er habe diese Instruction schon im Voraus befolgt, und habe, wo auch immer irgend Jemand offiziell oder nicht offiziell (whenever any person, official or other) im Gespräche mit ihm die Worte: Londoner Protokoll und Protokoll-Prinz gebraucht, denselben unterbrochen und gebeten die rechten Namen anzuwenden, nämlich: der Londoner Vertrag vom 8. Mai 1852, und Se. Majestät der König Christian IX.
Es ist nach diesen Worten des Herrn Gesandten nicht zu bezweifeln, daß derselbe sich eine sehr große, und zugleich höchst undankbare Mühe aufgeladen hat. Allein es liegt zugleich die Vermuthung nahe, daß auch von deutscher Seite einmal die Aufforderung ausgesprochen sei, deutschen Fürsten denjenigen Respect zu beweisen, der ihnen gebührt. *)
*) Auch diese Vermuthung hat sich seitdem bestätigt. Wie verschiedene Blätter berichten, hat der Graf Platen erwidert: er werde dem Wunsche nachkommen. Sollte es aber geschehen, daß man über einen deutschen Fürsten ihm gegenüber sich Ausdrücke erlaube, die nicht dem gebührenden Respecte entsprächen: so werde er die Unterredung nicht unterbrechen, sondern abbrechen. - Die Berichte des Herrn Howard enthalten davon nichts.
Gehen wir weiter. Bei derselben Gelegenheit, welche nach Herrn Miquels Meinung den Willen Hannovers bezeugt, beim Londoner Protokoll zu beharren, kommen (S. 14 d. B.) die weiteren Worte des Berichtes von Herrn Howard zur Sprache, nach denen der Graf Platen gesagt haben solle: eine Bundes-Execution würde in sich selber eine Anerkennung der Rechte des Königs Christian auf die Herzogthümer einschließen, und zweitens daß Hannover sich gegen die Anerkennung der Ansprüche des Herzogs Friedrich von Augustenburg aussprechen würde.
Bleiben wir zunächst bei dem ersten Satze von der Anerkennung der Rechte des Königs Christian IX. durch die
Bundes-Execution an sich.
Diese Worte eines fremden für seine Berichte in Hannover nicht verantwortlichen Herrn Gesandten stehen so sehr im Widerspruch mit den offiziellen, also zuverlässigen Kundgebungen unserer Regierung, daß nach unserer Ansicht dieser Widerspruch den Herrn Miquel hätte ausfordern müssen, zunächst nachzuforschen, ob nicht vielleicht noch andere Worte desselben Herrn Gesandten sich finden, welche diese ersten berichtigen. Um so näher lag diese Aufforderung, weil gleich die unmittelbar folgenden Worte desselben Herrn Gesandten, die auch Herr Miquel kennt und gibt (Seite 14), der englischen Regierung als die Meinung des Grafen Platen melden: bevor der Bund den dänischen Gesandten zulasse, müsse er einen Beschluß fassen über die Ansprüche des Prinzen von Augustenburg. Nun ist es aber offenbar, daß, wenn der Graf Platen gesagt hätte, die Bundes-Execution schließe die Anerkennung der Rechte Christians IX. in sich, eben darum dann nach dieser ihm zugeschriebenen Auslegung der Execution eine Beschlußfassung über die Augustenburger Ansprüche nicht mehr nöthig gewesen wäre; und es ist ganz unzweifelhaft, daß der Herr Howard, dessen Eifer für die englisch-dänische Anschauung, dessen Bemühen jegliche Äußerung des Grafen Platen nach dieser Seite hin aufzufassen, so ausdrücklich vorliegt - daß dieser Herr nicht ermangelt haben würde, auf den inneren Widerspruch dieser beiden Säge aufmerksam zu machen.
Herr Miquel hat diese weitere Nachforschung unterlassen, und von seinem Standpunkte aus mit Grund, weil diese Nachforschung ihn der Gefahr aussetzte, möglicher Weise den Boden für seine Anklage zu verlieren. Sehen also wir zu.
Herr Howard schließt seinen Bericht vom 26. November (Bl. N. 303) mit den Worten: „Ich legte dem Grafen Platen die Frage vor: angenommen die Execution fände statt in der angegebenen Weise, und die dänische Regierung erklärte sich demgemäß bereit allen Forderungen des Bundes nachzugeben, bevor die Frage der Erbfolge entschieden sei: würden dann die Bundestruppen zurückgezogen werden?"
„Se. Excellenz erwiderten, sie seien der Meinung, daß, weil die Execution unternommen werde gegen den de facto Souverän, die Bundestruppen sich zurückziehen würden, sobald der Zweck erfüllt sei." In den ferneren Berichten z. B. vom 28. November (N. 332) hat sich Herr Howard diese richtige Auffassung der Worte des Grafen Platen, daß die Execution gerichtet sei gegen den de facto Souverän mit Vorbehalt der Erbfolgefrage, ganz zu eigen gemacht, und dadurch selber seine erste irrige Anschauung berichtigt.
Herr Miquel hat jene oben von mir angeführten Worte in der Cammer, nach S. 16 selbst verlesen, jedoch nicht mit abdrucken lassen. Er hat ferner die Worte verlesen (eben dort S. 16), daß Hannover am Bunde stimmen würde für die sofortige Ausführung der Bundes-Execution ohne irgend welches Präjudiz für die Erbfolgefrage.
Es ist sehr merkwürdig, daß eben derselbe Herr desungeachtet die erste irrige Meinung des Herrn Howard, welche dieser selbst berichtigt hat, nämlich daß die Execution an sich die Anerkennung der Rechte des Königs Christian enthalte, vor der Cammer jetzt für die wahre Meinung des Grafen Platen ausgibt, und zwar so sehr, daß er (S. 14) sagt: „der Graf wolle die Execution, weil darin eine Anerkennung des Königs als Herzog von Schleswig-Holstein liege."
Es ist dies ein solcher Fall, bei welchem dem Herrn Howard auch nicht entfernt der Gedanke in den Sinn gekommen sein kann, welche Auslegung ein Hannoveraner einmal seinen Worten geben würde. Hätte Herr Howard diese Auslegung für möglich gehalten: so hätte er nach seiner Auffassungsweise wohl wahrlich sie lieber selbst gemacht. Ich überlasse es dem Leser, danach das Urtheil über das Verfahren des Herrn Miquel zu finden.
Wir kommen zu dem zweiten Punkte, daß der Graf Platen erklärt haben soll, Hannover werde sich am Bunde
gegen die Ansprüche des Herzogs von Augustenburg aussprechen.
In dem Berichte des Herrn Howard vom 23. Novbr. finden sich allerdings diese Worte, ähnlich in dem vom 28. ejd. Allein wiederum werden diese seine Worte corrigirt durch einen späteren Bericht, den Herr Miquel leider wieder unbeachtet gelassen hat. Herr Howard sagt nämlich in seinem Bericht vom 2. Januar 1864 (Bl. 600). „Ich drängte den Grafen Platen, dem hannoverschen Gesandten in Frankfurt, Herrn von Heimbruch, Instruction zu geben, daß er gegen den Herzog von Augustenburg stimmen solle. Allein Se. Excellenz wichen aus mir irgend eine Zusicherung zu geben, daß er das thun würde".
Wenn aber dem Herrn Howard irgend eine solche positive Zusicherung vorgelegen, wie es nach den obigen Berichten vom 23. und 28. November scheinen könnte: so würde er wohl nicht unterlassen haben derselben in seiner Aufforderung vom 2. Januar bei dem Grafen Platen zu gedenken, oder zum mindesten doch seiner Regierung gegenüber zu erwähnen. Da er dies nicht gethan hat, so folgt daraus, daß er am 23. November seine Wünsche mit Thatsachen verwechselt hat.
Herr Miquel sagt in den Einleitungsworten seiner Anklagerede: er wolle nicht sämmtliche Depeschen mittheilen. Man sieht hier, daß er Wort gehalten hat, so wie daß der Grund dieses Worthaltens nicht schwer zu errathen ist.
In gleicher Weise sind viele andere Auffassungen des Herrn Howard aus seinem eigenen Eifer zu erklären. So beispielsweise der Ausdruck des Beschwichtigens. Ja dieses Wort an sich würde, wenn nicht die Presse in so geschickter Weise es zu verwerthen gewußt hätte, kaum etwas Außerordentliches bieten, auch nach der Übersetzung des Herrn Miquel. Sie lautet: „Graf Platen benachrichtigte mich heute Morgen, daß die Instruction, die er dem hannoverschen Gesandten zu Frankfurt gesandt habe, dahin laute, beide reclamirende Parteien so lange auszuschließen, bis die Rechtsfrage untersucht worden sei. Das, behauptete er, sei das einzige Verfahren, das man beobachten könne in der Absicht, die über diesen Gegenstand in Deutschland weit verbreitete Aufregung zu beschwichtigen".
Es scheint, daß, wer diesen Bericht eines englischen Gesandten über die Mittheilung eines deutschen Ministers an ihn unbefangen liest, es nicht für möglich halten könne, daß daraus irgend welcher Tadel für irgend Jemand erwachsen könne. Der schon berührte Schlußsatz beweist lediglich die Subjectivität dieses Herrn Gesandten.
Nach dieser Erörterung der hauptsächlichsten Irrthümer des Herrn Miquel halte ich es nicht für nöthig, auf die kleineren noch einzugehen. Sie sind zahlreich und mancherlei, und wie zu erwarten, niemals zu Gunsten der hannoverschen Regierung, sondern nur zu Ungunsten. Sie sind selbst komischer Art. Z. B. am 5. Dezember (N. 364) meldet Herr Howard: es solle dem Prinzen von Augustenburg nicht erlaubt werden, to establish himself there. Dem Zusammenhange nach, wo von Truppen, von Freischaaren u. s. w. die Rede ist, heißt dies establish offenbar so viel wie sich festsetzen, d. h. thatsächlich eine Macht begründen. Herr Miquel aber sagt: niederlassen. Es fehlt nur noch dabei die Nebenbezeichnung: häuslich, um den gutmüthigen norddeutschen Spießbürger glauben zu machen: dieser böse hannoversche Minister habe nicht gestatten wollen, daß der Herzog von Augustenburg in friedlicher Stille in Holstein seine Wohnung aufschlage, sich etablire.
Es würde ermüdend sein, an jedem einzelnen Beispiele die Irrthümer des Herrn Miquel nachzuweisen. Eben so wenig verlohnt es sich der Mühe, auf die Worte der anderen Redner einzugehen, da durch dieselben denen ihres Vorgängers und Führers ein neuer Gedanke nicht hinzugefügt wird.
Überblicken wir das Ganze. Herr Miquel hat, wie bemerkt, aus den Berichten des Blaubuches nur den geringen Theil, und zwar in seiner eigenthümlichen Übersetzung gegeben, der für seine Zwecke brauchbar war. Eben deshalb liefern dieselben eben so wenig ein getreues Bild, wie der Photograph ein solches von einem Gesichte zu geben vermag, dessen Stirn oder dessen Kinn zu weit vorgebogen wird. Das Bild erscheint verschoben. Ähnlich verhält es sich mit dem Blaubuche. Die sämmtlichen Berichte des Herrn Howard aus demselben möchten leicht eine Broschüre von 6 Bogen füllen. Der Engländer überhaupt ist nun einmal zur objectiven Auffassung fremder Zustände nicht fähig, und hier besonders tritt die dänisch-englische Parteilichkeit, die Neigung alles nur in diesem Lichte zu sehen, oftmals in einem fast krankhaft gesteigerten Grade hervor. Und dennoch ist und bleibt bei dem allen der Auszug des Herrn Miquel aus diesem Blaubuche eine Carricatur - nicht bloß der Worte des Grafen Platen; denn diese sind auch schon in dem Blaubuche stark verseht mit der Subjectivität des Herrn Howard; sondern der Auszug des Herrn Miquel ist eine Carricatur des Blaubuches selbst, während die Gesammtheit der Berichte einen für den Verfasser derselben weit günstigeren Eindruck macht.
Namentlich muß hervorgehoben werden, daß in den Berichten desselben eine Thatsache besonders hervortritt, nämlich die feste Überzeugung, daß Hannover unter allen Umständen mit dem Bunde gehen werde, daß Hannover seine Bundespflicht über alle andern Vertragspflichten stellt. Herr Miquel hat in seinen Auszügen diesem wichtigsten Kerne der Berichte des Blaubuches keine Aufmerksamkeit geschenkt: um so mehr ist es Pflicht für uns andere Hannoveraner, gerade auf diesen Punkt zu achten, ihn hervorzuheben. Herr Howard nämlich hat da, wo nicht das englisch-dänische Parteiinteresse in Frage kommt, die hannoversche Politik richtig aufgefaßt. Er berichtet, daß das Streben Hannovers immer darauf gerichtet sei, jeglichen Zwiespalt in Deutschland zu verhüten, namentlich die eine Zeitlang mögliche Uneinigkeit der beiden Großmächte auf der einen Seite, des übrigen Deutschlands auf der anderen Seite zu vermitteln. Es ist hier namentlich der Entschluß hervorzuheben, sich zu Anfang dieses Jahres nicht an den Würzburger Conferenzen zu betheiligen. Dieser Entschluß schien damals Manchem in Widerspruch zu stehen mit der sonstigen Politik Hannovers, die immer auf ein festes, einiges Zusammenschließen zunächst der Mittelstaaten und damit des gesammten Deutschlands ausgegangen ist, überhaupt mit derjenigen deutschen Politik, welche in dem Eifer und der Willfährigkeit Hannovers für die Reformakte des Kaisers Franz Joseph vom August 1863 sich bethätigt hat, und zwar so sehr bethätigt hat, daß Hannover, ungeachtet der Wichtigkeit seiner Position in Deutschland, bereit war, sich in Betreff des vom Kaiser vorgeschlagenen Directoriums mit Würtemberg und Sachsen gleichstellen zu lassen, die nur an Einwohnerzahl, und weder an Umfang, noch viel weniger durch ihre politische Weltstellung mit Hannover in eine Linie zu bringen sind. Allein die Nichttheilnahme an den Würzburger Conferenzen zu Anfang dieses Jahres hatte, wie mir scheint, denselben Grund, wie früher die Theilnahme. Dieser Grund war das Bestreben für den inneren Frieden, die Einigung, und durch die Einigung die Kräftigung von Deutschland. Wenn, wie es damals viele gutmüthige Leute und schlechte Politiker in ihrer Unzufriedenheit mit dem preußisch-östreichischen Vorgehen wünschten, die anderen deutschen Staaten sich gerade in dem Momente als
sogen. dritte Machtgruppe zusammen gethan hätten: so wäre zwischen dieser dritten Machtgruppe und Östreich-Preußen nach der Sachlage kein anderes Verhältnis möglich gewesen, als ein gespanntes, und aus dem gespannten Verhältnisse hätte sehr leicht und wahrscheinlich sich ein feindseliges d. h. der Bürgerkrieg in Deutschland entwickelt. In solchem Falle wäre das Dazutreten Frankreichs unvermeidlich und unabwendbar gewesen. Es hing von Hannover ab, ob diese sog. dritte Machtgruppe mit den unermeßlichen Gefahren einer solchen Coalition sich bilden könne. Hannover trat nicht bei. Diese Weigerung lähmte die Sache. Hannover erwarb sich dadurch das Verdienst, durch seine Ruhe, seine Mäßigung den inneren Frieden von Deutschland bewahrt zu haben. Auch darf nicht gesagt werden, daß dies nicht anerkannt sei. Herr von Bennigsen wenigstens hat am 9. März dieser seiner Anerkennung Ausdruck gegeben, und wenn auch Herr Howard (Bl. N. 1152) die Sache so ausfaßt, als sei dies von jenem Redner nicht in lauterer Absicht geschehen, so geben doch die Worte desselben dazu keinen Anlaß.
Während aber die Regierung von Hannover nach ihrem ganzen Verhalten gerechten Anspruch hat auf den Dank nicht bloß des eigenen Landes, sondern auf den der gesammten Nation, ist in der zweiten Cammer des Landes Hannover am 30. April etwas geschehen, was von Dank sehr verschieden ist. Ein Mitglied der Cammer hat, wie der Justizminister in der Cammer mit Recht bemerkt, in einer unerhörten Weise auf ein referens sine relato, oder wie wir uns nach unseren gegebenen Beweisen aussprechen müssen, auf Grund lückenhafter Auszüge und zum Theil irrthümlichen Übersetzungen von Berichten eines fremden Gesandten eine Anklage erhoben, deren Nichtigkeit und Grundlosigkeit nach unseren oben vorgeführten Beweisen offen vor Jedermanns
Auge liegt. Die zweite Cammer, anstatt zuerst zu untersuchen, ob und in wie weit die Mittheilungen eines ihrer Mitglieder mit dem wirklichen Inhalte des Blaubuches übereinstimmen, anstatt ferner, wenn diese Untersuchung die Richtigkeit des Auszuges und der Uebersehung dargethan hätte, dann sich auf eine Anfrage zu beschränken, was es mit den offenbar subjectiv gefärbten Berichten eines fremden, dem Lande Hannover nicht verantwortlichen Gesandten auf sich habe - die zweite Cammer, sagen wir, hat ohne alle vorgängige Untersuchung von ihrer Seite ihre Anfrage gestellt in Begleitung eines Tadels. Der Vorgang ist im ständischen Leben vielleicht beispiellos. Der Justizminister ist nicht das einzige juristische Mitglied der Versammlung; allein ungeachtet seiner wiederholten warnenden und mahnenden Worte schienen die anderen Mitglieder die Jurisprudenz daheim gelassen zu haben, um in der zweiten Cammer diejenige Art juristischer Logik anzuwenden, die etwa in einer Volksversammlung zu erwarten ist. Nicht freilich als ob die Gabe der Kritik bei den Nicht-Juristen der Cammer in diesem Falle schärfer geübt wäre. Sie haben gestimmt für eine Anklage der schwersten Art, die sich nur in die Form einer Frage kleidet, obwohl unter allen vielleicht nur einer war, der die Quelle, aus welcher er seine Anklage nahm, in eigener Anschauung kannte, und obwohl es selbst bei diesem einen noch zweifelhaft ist, ob er das Material zu seiner Anklage selber sich gesucht, oder bereit liegend den Worten eines von anders woher nachgedruckten Zeitungs-Artikels entnommen habe.
Gewis, der Vorgang ist in trauriger Weise bedeutungsvoll. Er beweist, was auf Majoritäten zu geben ist, wenn die Vernunft unter der Herrschaft eines Gefühles steht, sei es eines wahren oder auch nur irre geleiteten. Er beweist, wie leicht es ist, die Menschen zu lenken, wenn man an ihre Leidenschaften appellirt, an ihr Streben nach Popularität vor dem großen Haufen, der heute Hosiannah ruft, und morgen: kreuzige, kreuzige! Er beweist, wie leicht es den Parteiführern wird, die in ihrem Grunde und Urquell nicht unlauteren Gefühle zu trüben durch fremden Beisaz und in dieser Trübung auszubeuten für Parteizwecke, die mit jenen Gefühlen wahrlich nichts gemein haben.
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